Nach »Jude!«-Rufen flogen Pflastersteine gegen die Polizei

Lok-Leipzig spielte gegen Erzgebirge Aue II - anschließend spielten Hooligans Straßenschlacht

  • Richard Claus
  • Lesedauer: 2 Min.
Nach dem mehrfach unterbrochenen Pokalspiel des Bezirksligisten 1. FC Lok Leipzig gegen den Landesligisten Erzgebirge Aue II, das am Sonnabend 0:3 endete, entfachten rund 800 Anhänger des Gastgeber-Teams eine Hetzjagd gegen die anwesenden 300 Polizisten. Warnschüsse fielen.
Zuerst beschimpfte man die Spieler und angereisten Fans von Erzgebirge Aue nur als »Juden«. Darüber, so berichten Leute aus der Szene, wundert sich schon lange niemand mehr: Für nicht wenige Lok-Leipzig-Anhänger ist das Gegröle »Aue und Chemie - Judenkompanie« längst obligatorisch. Dann flogen Rauchbomben, Feuerwerkskörper. Nachdem die Polizei die Abfahrt der Gäste und ihrer Anhänger aus dem Bruno-Plache-Stadion gesichert hatte, wurde sie selbst zum Ziel der Hooligans. Flaschen, Ziegel- und Pflastersteine flogen, man griff Beamte mit Revolvern an. Zum Glück, so ein Polizist, der vor Ort mit einigen blauen Flecken fliehen konnte, waren es noch Schreckschusswaffen. Trotz »voller Montur«, trotz Hunden und Reiterstaffeln konnte die Polizei die Angreifer kaum in Schach halten. Immer wieder hätten die ihren Countdown gezählt, um dann wellenartig über unsere Beamten herzufallen, fasst ein Polizeisprecher das Geschehen zusammen. Zwei Zivilpolizisten, die sich zur Aufklärung im Lok-Fan-Block aufgehalten hatten, wurden enttarnt, getrennt, attackiert. Einer konnte sein Leben nur durch Warnschüsse aus seiner Dienstpistole retten, doch danach verfolgte ihn die Meute, bis er von Kollegen gerettet werden konnte. Nach bisherigen Angaben wurden 36 Beamte zum Teil schwer verletzt, 21 Fahrzeuge demoliert. Erst nach 20 Minuten konnten die Einsatzkräfte die Situation beruhigen. Einer Reiterstaffel der Polizei gelang es, den harten Kern der Rowdys Richtung Völkerschlacht-Denkmal zu vertreiben. Die Ausschreitungen sind die jüngsten einer Serie. Es ist offensichtlich, dass gerade Lok ein Problem mit »seinen« rassistischen, antisemitischen, rechtsextremen und gewalttätigen und vor allem gut organisierten Fans hat, so ein Insider gegenüber ND. Dass ähnliche Ereignisse in Sizilien als Motivationsverstärker gewirkt haben könnten, schließt die Polizei bislang aus. Die Hooligan-Situation im Freistaat Sachsen hat Ereignisse wie die vom Wochenende erwarten lassen, so ein Sprecher. Auch der Verein gibt sich entsetzt, ohne jedoch Ideen für Lösungen zu haben. Eine finanziell so schwache Mannschaft wie Lok könne sich auch kein effektives Fanprojekt leisten. Man hat zwar einen Mann mit dieser Jugendarbeit beauftragt, doch alles, was sich in dessen Büro sammeln kann, ist das durchs Dach eindringende Regenwasser. Stadt, Freistaat und Deutscher Fußball-Bund sind gefragt, langfristige Lösungen anzuschieben. Denn Probleme wie in Leipzig gibt es in überall in Ostdeutschland - in Berlin, Halle, Dresden, Erfurt ...
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