Schierker Schneekanonendonner

Sachsen-Anhalts Kabinett sucht bei Wandertag eine Einigung zu Tourismusprojekt im Harz

  • Hendrik Lasch, Schierke
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie tief muss eine Umweltministerin im Matsch stecken, damit klar ist, dass der Wald ein geschützter Moorwald ist? Claudia Dalbert, die grüne Ressortchefin in Sachsen-Anhalt, sackte bei einem Wandertag des halben Kabinetts am Winterberg im Harz so weit in den Boden, dass Wasser in die Gummistiefel lief. Der Fauxpas rief in den sozialen Netzwerken Experten auf den Plan. Einer kommentiert: Damit das Moor als Moor gilt, hätte Dalbert bis zur Hüfte einsinken müssen.

Das geschah zum Glück nicht bei einem Ausflug, der sie gemeinsam mit CDU-Regierungschef Reiner Haseloff und Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) ins Gebirge führte: an einen dicht bewaldeten Hang oberhalb von Schierke, von dem sich der kleine Erholungsort eine große Zukunft verspricht - an dem im übertragenen Sinne aber zugleich das Regierungsbündnis aus CDU, SPD und Grünen wiederholt so ins Straucheln geriet, dass manche in der Union sogar schon mit einem Bruch drohten.

Das, was seit Wochen in der bundesweit ersten Kenia-Koalition grollt, ist gewissermaßen Schneekanonendonner. Auslöser sind Pläne der Gemeinde und eines privaten Investors, am 906 Meter hohen Schierker Hausberg ein Skigebiet anzulegen - samt Schneekanonen und Seilbahn. Vorbild ist der Wurmberg jenseits der Landesgrenze zu Niedersachsen. Er ist von Schneisen für Seilbahn, Lifte und Pisten völlig zerfurcht, zieht aber an Wintertagen Tausende Touristen nach Braunlage. In Schierke, das einst als Sankt Moritz des Nordens galt, träumt man von ähnlichem Zustrom, der Betten und das monströse Parkhaus am Fuß des Winterbergs füllen könnte.

Am Geld liegt es nicht: Ein Investor, der 25 Millionen Euro in die Skiarena stecken würde, steht bereit. Allerdings: Um die Seilbahn zu bauen, müssten 20 Hektar Wald abgeholzt werden - und zwar kein gewöhnlicher Fichtenforst. Am Winterberg liegen Moore, die nicht nur, wie auf einer Tafel zu lesen ist, dem Harz »sein charakteristisches Gepräge« geben, sondern die zumindest zum Teil auch unter Schutz stehen. Zwar wurde der Südosthang des Berges im Jahr 2001 vorsorglich aus dem Nationalpark Harz ausgegliedert. Teile der Fläche sind aber als FFH- (Fauna-Flora-Habitat) und Vogelschutzgebiet an die EU gemeldet worden.

Bei der Exkursion der Minister und ihres Chefs in das ehemalige deutsch-deutsche Grenzgebiet ging es formal um Fragen danach, wo genau sich die Schutzgebiete erstrecken und wo der Moorwald beginnt und endet. Karten wurden studiert, Moose begutachtet und die Historie erörtert: Zu Zeiten von Goethes Harzreise seien die Hänge baumlos gewesen, hieß es. Und vor der Befestigung der DDR-Grenze habe der Hang als Weide gedient. Es ging um Details des Umweltrechts, im Hintergrund aber auch um die Frage, ob und wie dieses instrumentalisiert werden kann. Ein Gutachten des Landesamtes für Umweltschutz, das Dalbert unterstellt ist, hatte sich skeptisch zum geplanten Trassenverlauf für die Seilbahn geäußert - obwohl dieser wegen des Moorwaldes schon einmal verändert worden war. Trifft die Kritik zu, müsste für einen Bau der Bahn die Trassenführung erneut geändert oder eine Sondererlaubnis aus Brüssel eingeholt werden. Bei der CDU und inzwischen auch in der SPD wird der grünen Ministerin und ihrer Partei eine Blockadehaltung aus prinzipiellen Gründen vorgeworfen.

Es ist ein Vorwurf, wie er ähnlich auch bei Konflikten um den Wolf, um die Autobahn A 14 in der Altmark und um eine als Gewerbegebiet vorgesehene, aber von Feldhamstern besiedelte Fläche in Sangerhausen ins Feld geführt wurde. Naturschutz, so die Kritik, ist der Ökopartei wichtiger als wirtschaftliche Entwicklung. Im Fall Schierke argumentieren die Kritiker indes auch und gerade ökonomisch. Viele von Dalberts Parteifreunden fragen, wie sinnvoll es ist, in alpinen Skisport im Mittelgebirge zu investieren und wertvolle Natur dafür zu opfern - angesichts der Tatsache, dass selbst viele Skigebiete in den Alpen ihre Zukunft durch den Klimawandel bedroht sehen. Auch die Schneekanonen, so wird angemerkt, benötigen kalte Winter, wie es sie im Harz weit seltener als früher geben dürfte. Das »maßgeblich auf Kunstschnee fußende Projekt« drohe eine »gigantische Fehlinvestition zu werden«, warnte dieser Tage der BUND-Landeschef Ralf Meyer.

In Schierke dagegen setzt man voll und ganz auf den Tourismus am Winterberg - in einem Areal, das in Karten und Plänen als »Ganzjahres-Erlebnisbereich« bezeichnet wird. Wenn kein Schnee liegt, sollen erlebnishungrige Ausflügler etwa mit »Monsterrollern« ins Tal brettern können. So soll die Zahl von 250 000 Übernachtungen gesteigert und eine Entwicklung nachgeholt werden, die bis 1989 durch die Lage im Grenzgebiet behindert war - auch wenn sie einige Protagonisten einst selbst nicht für sonderlich zukunftsweisend hielten. Peter Gaffert etwa erklärte 1994, er »glaube nicht, dass es Sinn macht, in Schierke alpinen Wintersport zu etablieren. Die Voraussetzungen sind nicht gegeben.« Damals war Gaffert Chef des Nationalparks; heute drängt er als Schierkes Bürgermeister energisch auf den Bau der Skiarena.

Zwei der drei Koalitionspartner hat er dabei an seiner Seite. Der »Wille der Bürger« sei eindeutig: »Sie wollen und brauchen die geplante Investition«, sagt der SPD-Abgeordnete Holger Hövelmann. CDU-Mann Ulrich Thomas ergänzt, es sei »nicht zu vermitteln, warum ein Feuchtrasen von höchstem europäischen Interesse sein soll«. Das Kabinett entschloss sich nach der Exkursion, ein weiteres, externes Gutachten einzuholen. Ende Juni soll dann entschieden sein, wie es in Schierke weitergeht - und vielleicht auch in der Koalition.

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