Kondomverbot wegen Triggergefahr

Die Drag-Künstlerin Patsy l’Amour laLove kritisiert den verkürzten Blick der Queer-Szene auf Kapitalismus und Gesellschaft

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 7 Min.

Nach der Veröffentlichung Ihres Buches »Beißreflexe« über reaktionäre Entwicklungen in der queeren Szene wurde Ihnen in sozialen Netzwerken Gewalt angedroht. Fürchten Sie um Ihre Gesundheit?
Ich mache mir nun mehr Gedanken darüber, ob ich alleine zu einem Veranstaltungsort gehe. Besorgt bin ich aber vor allem um Freunde und Autoren, die mich begleiten. Ich hoffe darauf, dass es nur leere Drohungen sind.

Die erste Buchauflage war schnell ausverkauft, es gab starke positive wie auch negative Reaktionen. Hatten Sie das erwartet?
Es ist überwältigend, dass sich so viele queere, aber auch allgemein linke Leser dafür interessieren. Die Heftigkeit der Äußerungen in sozialen Netzwerken hat mich aber schon überrascht. Zugleich kenne ich das noch aus der Zeit, in der ich selber Teil der queer-feministischen Szene war: Dort wurden Leute öffentlich bloßgestellt und aus der Stadt vertrieben, wenn sie was sagten, was anderen nicht passte.

Patsy l’Amour laLove

Patsy l’Amour laLove ist Geschlechterforscherin und selbsternannte »Polit-Tunte«. Neben ihrer regelmäßigen Drag-Show im Berliner Club »SchwuZ« publiziert die Künstlerin, Jahrgang 1987, zu den Themen Homosexualität, Männlichkeit und Emanzipation. Ihr Promotionsthema ist die westdeutsche Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Nach der Veröffentlichung des Buches »Beißreflexe« wurde l’Amour laLove in sozialen Netzwerken mit Gewalt bedroht. Mit der Autorin sprach Sebastian Bähr.

Wann haben Sie sich von der queeren Szene losgesagt?
Als ich 2010 nach Berlin zog, stellte ich fest, dass es sich nicht um das Problem einer bestimmten Lokalszene handelt, sondern des queeren Aktivismus an sich. Egal in welcher Stadt ich war, es wurden Leute ausgeschlossen und Veranstaltungen gesprengt. Das betraf aber nicht Nazis, sondern Aktivisten, die ein vermeintlich falsches Wort gesagt oder im falschen Buch mitgeschrieben haben. Ich bemerkte dann bei Diskussionen, dass viele Leute ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Das war für mich die Motivation, an dem Buch zu arbeiten.

Von einigen Stimmen wird der Konflikt als Auseinandersetzung zwischen älteren weißen Homosexuellen und jüngeren queeren Aktivisten gezeichnet. Stimmen Sie dem zu?
Das ist absoluter Quatsch. Es gibt nicht die älteren Vernünftigen und die jüngeren Radikalen. Da wird aus meiner Sicht auch eine falsche Parallele zur den 1970er Jahren gezogen, in denen radikale Kreischtunten in die Schwulenbewegung interveniert hatten. Damals war die Freiheit von allen das Ziel, heute kritisieren Queerfeministinnen dagegen, dass manche Leute privilegiert sind, also bestimmte Freiheiten haben. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

Halten Sie das Privilegienkonzept nicht für sinnvoll?
Die Aktivisten beschäftigen sich viel damit, welchen Menschen es besser geht, um dann zu erklären, dass diese daran schuld seien, dass es ihnen selber schlecht geht. Da wird für mich ein sehr verkürzter Blick auf Kapitalismus und Gesellschaft deutlich. Es gibt ja nicht nur die personalisierten Unterdrücker und Unterdrückten, sondern einen totalitären Kapitalismus, der durch alle Subjekte wirksam wird. Das fehlende Bewusstsein zeigt sich dann auch in der Praxis. Gesellschaftskritik gibt es hier ausschließlich in Form bestimmter Kleider-, Verhaltens- oder Redevorschriften. Der politische Aktivismus wird auf das Kulturelle des Alltags zugespitzt und das eigene Dasein als radikaler Akt angesehen. Wenn man es zuspitzt, handelt es sich um eine politische Selbstoptimierung.

Wie erklären Sie sich das Verhalten?
Die von außen wahrgenommenen Zumutungen der Gesellschaft werden fast genauso oder zum Teil noch grausamer in das eigene Kollektiv überführt. Dort werden zwar neue Normen und Verhaltensregeln geschaffen, diese sind aber sehr eng an das gekoppelt, was man insgesamt von der Gesellschaft mitbekommt.

Haben Sie ein Beispiel?
Es geht in der queeren Szene mitunter darum, das Sexuelle in Schach zu halten. Das sieht man zum Beispiel an der Stilisierung von Asexualität zur aktivistischen Formel. Daraus wird eine autoritäre Praxis geformt, so dass bei Partys keine Kondome mehr verteilt werden dürfen, weil sich Leute gestört fühlen könnten, die keinen Sex haben wollen. Damit werden Regungen in Schach gehalten, die man an sich nicht haben will, die einem Angst machen. Die Forderung an sexuell Andere, nicht so übermäßig sexuell zu sein, nimmt man da dankbar auf.

In der Queertheorie spielt allgemein eine große Rolle, wer etwas äußert. Ist die Sprecherposition dabei wichtiger als das Argument?
Es ist mittlerweile tatsächlich so, dass die Hautfarbe, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung einer Person von größerer Bedeutung ist als das, was sie sagt. Andererseits wird von Leuten, die schon immer ein Problem mit queerer und linker Politik hatten, mein Buch umgedeutet zu einer Position, in der Betroffenheit keine Rolle spielt. Das tut sie aber. Diskriminierte Menschen müssen sich öffentlich Gehör verschaffen können. Und zugleich sind ihre Aussagen nicht automatisch die reine Wahrheit.

Ihrem Buch wurde eine religionsfeindliche Haltung vorgeworfen. Was denken Sie dazu?
Ich habe diesen Vorwurf erst nicht verstanden. Für mich ist es ein linker Grundsatz, sich klar gegen Religion zu positionieren. Diese Kritik zeigt sich aber auch in dem Verhalten der queeren Szene gegenüber islamischen Ländern. Sie sprechen nicht davon, wer dort Hass und Feindseligkeit erfährt, nämlich auch Homosexuelle und Transpersonen. Stattdessen wird die Regel aufgestellt, dass sich Menschen aus dem Westen dazu nicht äußern dürfen. Das ist eine Verweigerung von Solidarität.

In der queeren Szene ist dafür das Konzept der kulturellen Aneignung sehr populär, nach dem kulturelle Praxen an Ethnien klar gebunden sein sollten. Dürfen nur noch Schwarze Dreadlocks tragen?
Wenn jemand sich durch eine Handlung oder Äußerung verletzt fühlt, sollte man darüber sprechen, aber es muss dabei immer die Möglichkeit geben, diese persönliche Kränkung nicht zu einer politischen Kritik zu machen. Andererseits gibt es zwischen Sushi-Essen und Blackfacing, ein Begriff für schwarz angemalte Gesichter von Weißen, einen himmelweiten Unterschied. Blackfacing ist eine rassistische Tradition, die sich offenkundig über Schwarze lustig macht. An Sushi halte ich nur den rohen Fisch für bedenklich.

Bei allen diesen Vorschriften: Inszeniert sich die AfD mit der bekennenden Lesbe Alice Weidel als neuer Ko-Vorsitzenden da im Vergleich zur Linken nicht als tolerant?
Die AfD macht eine offen homosexuellenfeindliche Politik, die auch einige Homosexuelle anspricht. Warum sollten die nicht auch rechts sein? Das ist aber keine Instrumentalisierung von Schwulen und Lesben. Menschen können im Rahmen einer repressiven Toleranz offen homosexuell sein und gleichzeitig innerhalb der AfD die Homosexualität ablehnen. Dieses zweifelhafte Vergnügen verschafft einem nur eine liberale Gesellschaft, wie wir sie heute haben.

Innerhalb der Linken gibt es die Debatte, die Genderpolitik zugunsten eines Klassenkampfes zurückzufahren. Ist das eine Lösung?
Gender- und Sexualpolitik fallenzulassen ist für mich die falsche Konsequenz. Man sollte deutlich machen, dass diese Aufklärung allen zugute kommt - und da gibt es noch einiges zu tun. Man sollte sich in der Debatte aber nicht davon abhängig machen, was irgendein AfD-Hansel sagt. Wichtig ist für mich, sich von der Idee eines großen politischen Kollektivs zu verabschieden. Stattdessen braucht es eine selbstbewusste und perverse linke Gesellschaftskritik, um die Verhältnisse in Bewegung zu bringen.

Queer - radikal gegen Normen

»Queer«-Aktivismus hat seinen Ursprung in den USA der 1980er Jahre. Die Immunschwächekrankheit AIDS begann sich zu verbreiten, Betroffene und Risikogruppen wurden von der Gesellschaft stigmatisiert. Schwule, Lesben, Transmenschen und MigrantInnen fühlten sich in dieser Atmosphäre sowohl von der Mehrheitsbevölkerung als auch von einer als bürgerlich und weiß verstandenen Homosexuellenszene ausgegrenzt. Sie schlossen sich zusammen und nutzten die ursprüngliche Beleidigung (im Sinne von »pervers«, »schräg«) zur Selbstbehauptung. Mit schrillen Provokationen machten die radikalen AktivistInnen auf die prekäre Lage von HIV-Infizierten und sozialen Randgruppen aufmerksam und wandten sich gegen gesellschaftliche wie sexuelle Normen.

Die akademische Queer-Theorie griff diese Kritik in den 1990er Jahren auf und dekonstruierte mit Methoden des Poststrukturalismus Geschlechtsidentitäten und soziale Machtformen. Die Trennung zwischen der gesellschaftlich geprägten Geschlechtsidentität (gender) und dem biologischen Geschlecht (sex) der Menschen nahm in der Forschung vor allem bei der US-Philosophin Judith Butler eine bedeutende Rolle ein.

Heute sammeln sich unter dem Begriff »queer« alle möglichen Menschen mit von der Norm abweichenden Identitäten und sexuellen Vorlieben. Von exklusiven bürgerlichen, romantischen und heterosexuellen (mitunter auch homosexuellen) Beziehungsformen grenzen sie sich ab.

In der antirassistischen und feministischen Bewegung hat queerer Aktivismus in mehreren Ländern mittlerweile einen prägenden Einfluss, doch in den vergangenen Jahren erinnerte der Politikstil viele Linke immer mehr an eine dogmatische »Sekte«. In der queeren Szene populäre Konzepte wie »kritisches Weißsein« oder »kulturelle Aneignung« lösten auf Konferenzen, in Universitätsseminaren, auf Camps, in politischen Gruppen sowie in sozialen Beziehungen starke Konflikte aus.

Um die zum Teil als reaktionär empfundenen Entwicklungen zu kritisieren, veröffentlichte die Autorin Patsy l’Amour laLove im März 2017 das Buch »Beißreflexe - Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten«. In dem Sammelband widmen sich 27 AutorInnen der Praxis und der Theorie von queerem Aktivismus und beleuchten die Wandlung der Szene. seb

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