Adler suchen Wunder

Gegen den großen BVB, gilt die SG Eintracht Frankfurt im DFB-Pokalfinale als Außenseiter, doch die Motivation ist hoch.

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die Stadt Frankfurt steht fest: Gewinner ist Eintracht Frankfurt unabhängig vom Ausgang des DFB-Pokalfinals. Wenn der Tross am Sonntag gegen 15 Uhr auf dem Flughafen zurück erwartet wird, fährt die Mannschaft direkt Richtung Römer, um gemeinsam mit den Fans zu feiern. Auch der Empfang beim Oberbürgermeister Peter Feldmann im Kaisersaal ist fix terminiert, ganz gleich ob die Auflage gegen Borussia Dortmund (Samstag 20 Uhr) in den fünften Pokalsieg mündet. Weil das Erreichen des Endspiels für die Eintracht ein Ausnahmeereignis darstellt, das im Umfeld in den Ausnahmezustand führt.

Und so sind die Frankfurter schon am Donnerstag nach Berlin geflogen, um die besondere Atmosphäre dieses aufgemotzten Events aufzusaugen. »Ein Pokalfinale ist etwas ganz Außergewöhnliches, ein ganz besonderes Erlebnis«, beteuert Trainer Niko Kovac, der in seiner »Mutterstadt« antritt, wie er sich ausdrückt. Auch der in Berlin geborene Kroate weiß: Das kommt womöglich so schnell nicht wieder. Die leidenschaftliche Ansprache eines Ultra-Anführers im Anschluss an das letzte Bundesligaheimspiel gegen RB Leipzig hat selbst Kovac in dieser Form noch nicht erlebt.

»Vereine wie wir sind alle zehn, 15 oder 20 Jahre dabei«, betont Sportvorstand Fredi Bobic, der Vor- und Nachlauf des Finals als »Heimschläfer« erlebt, weil seine Familie in der Hauptstadt beheimatet ist. Zum ersten Mal seit 2006 (0:1 gegen den FC Bayern) zeigt sich die Eintracht wieder auf dieser Bühne, der letzte Pokalsieg datiert aus dem Jahr 1988 (1:0 gegen den VfL Bochum). Der Siegtorschütze von damals, der Ungar Lajos Detari, tritt heute im Bühnenprogramm am Alexanderplatz beim großen Eintracht-Fantreff auf.

Halb Frankfurt scheint auf dem Weg nach Berlin, ganz Frankfurt elektrisiert: Am Vatertag auf den Radtouren an der Nidda oder am Mainufer trugen viele Menschen Utensilien mit dem Adlerwappen, und manche gleich das Original-T-Shirt, auf dem steht: »Adler im Anflug«. Unter diesem Hashtag sind alle Aktivitäten gebündelt, und es war auch der Slogan, der gleich nach dem Elfmeterdrama im Halbfinale von Mönchengladbach die Runde machte. »Adler im Rausch« würde inzwischen viel besser passen.

Die meisten Geschäftsstellenmitarbeiter reagierten zuletzt auf Kartenanfragen gar nicht mehr. »Wir hätten locker 70 000 oder 80 000 Tickets verkaufen können«, erzählt Marketingvorstand Axel Hellmann, der im Olympiastadion mit bis zu 28 000 statt der offiziell zugeteilten 21 000 Frankfurter Anhängern rechnet, »weil auf dem Graumarkt unglaubliche Preise gezahlt werden.«

Auf rund acht Millionen Euro veranschlagt die Eintracht die Mehreinnahmen durch den Pokal. Doch fast noch wichtiger ist der Imagegewinn für eine Marke, die um ihre Positionierung ringt. Mit der Eintracht tritt ja eine stolze Adresse des deutschen Fußballs an; einmal deutscher Meister (1959), viermal Pokalsieger (1974, 1975, 1981, 1988) und einmal UEFA-Pokalsieger (1980). Identifikationsfiguren wie Bernd Hölzenbein oder der Bundesligarekordspieler Karl-Heinz Körbel sind immer noch für den Verein tätig - und gehören natürlich der Reisegruppe an.

Die Vorfreude auf dieses Highlight hat die Tristesse über eine eher ernüchternde zweite Halbserie - Letzter der Rückrundentabelle - vertrieben. Sportlich wird es nun vor allem interessant, ob der Außenseiter die Empfehlung von Bundestrainer Joachim Löw annimmt. »Eintracht Frankfurt ist eine Mannschaft, die weh tun kann, die sehr gut verteidigt. Das alleine wird aber nicht reichten. Die Frage wird sein: Wie gut können sie nach vorne spielen?« Kovac nimmt Löws Vorlage gerne auf. Beim Videostudium hat der 45-Jährige eigentlich nur Stärken und kaum Schwächen der Dortmunder erspäht, aber »nur verwalten, sich verkriechen«, das käme nicht infrage: »Wir müssen auch aktiv in der Offensive sein.«

Mutmaßlich ohne Alexander Meier, der im Gegensatz zu Verteidiger Jesus Vallejo nach seiner Blitzgenesung nicht mit einem Startelfeinsatz belohnt wird. Die Sonderrolle, die der 34 Jahre alte Fußballgott Frankfurts unter allen Kovac-Vorgängern genoss, gilt nicht mehr. Aber müssen sich die Hessen nicht ohnehin auf ihr Kollektiv statt auf einen Einzelnen verlassen? Die Eintracht hat die letzten beiden Bundesligaheimspiele gegen den BVB gewonnen, weil sie im Verbund eine größere Entschlossenheit, mehr Willensstärke in die Waagschale warfen. Aber gilt das auch als Blaupause für ein Pokalendspiel? Vermutlich nicht. Und daher hat die Stadt Frankfurt auch schon alles vorbereitet, wenn die Adler als Verlierer heimfliegen.

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