Eine unbezähmbare Muse

Von Affären, Demütigungen und dem unbeirrten Streben nach Ruhm

  • Lesedauer: 3 Min.

Sie war die Tochter eines Malers, der mit seiner Familie in beengten Verhältnissen lebte. Dennoch wurde er von vielen Künstlern besucht, die bei der Heranwachsenden das Interesse für Literatur, Malerei und Musik weckten. Sogar Kompositionsunterricht erhielt sie und offenbarte hierbei ein erstaunliches Talent. Die Schule besuchte sie nur im Winter, in der restlichen Zeit des Jahres kümmerten sich ihre Eltern sowie ein Hauslehrer um ihre Bildung.

Mit 22 Jahren lernte sie bei einer Abendgesellschaft einen Dirigenten kennen, der sich Hals über Kopf in sie verliebte und ihr wenig später einen Heiratsantrag machte. Obwohl ihre Eltern gegen die Verbindung waren, sagte sie ja. Und das, obwohl ihr künftiger Gatte ihre eigenen Ambitionen als Künstlerin ignorierte: »Die Rolle des Komponisten fällt mir zu, Deine ist die der liebenden Gefährtin.« Widerstrebend gehorchte sie. Erst nach einer Ehekrise zeigte ihr Mann, der als Dirigent inzwischen Weltruhm genoss, plötzlich Interesse an ihrer künstlerischen Arbeit. Allein sie hatte resigniert: »Zehn Jahre verlorene Entwicklung sind nicht mehr nachzuholen.«

Während ihrer Ehe, in der sie zumeist unter sexueller Entbehrung litt, brachte sie zwei Kinder zur Welt. Häufig lebte sie von ihrem Mann getrennt und absolvierte mehrere Kuren. Bei einer solchen lernte sie einen jungen Architekten kennen, mit dem sie sich in eine heftige Affäre stürzte. Als ihr Mann davon erfuhr, geriet er völlig aus der Fassung und konsultierte in seiner Verzweiflung den Psychoanalytiker Sigmund Freud. Doch alle Erholung war nur von kurzer Dauer. Körperlich geschwächt und seelisch angeschlagen starb er wenig später im Alter von 51 Jahren.

Sie war nun eine wohlhabende Frau, die von zahlreichen Männern umworben wurde. Und sie liebte es, »Genies« um sich zu scharen. Zunächst hatte sie eine Liaison mit einem Maler der Wiener Kunstszene, der mit allen Mitteln versuchte, sie zu einer Heirat zu bewegen. Aber sie lehnte ab. »Er taugt nicht mehr für mein Leben«, vertraute sie ihrem Tagebuch an. »Er reißt mich zurück ins Triebhafte.« Während des Ersten Weltkriegs fuhr sie überraschend nach Berlin und heiratete dort ihren einstigen Geliebten, der sich als Architekt später ebenfalls einen großen Namen machte. Sie wurde schwanger und brachte ihr drittes Kind zur Welt. Doch die Ehe stand unter keinem guten Stern, zumal ihr Mann zurück an die Front musste. Als er gar an eine Heeresschule versetzt wurde, um Hunde auszubilden, fühlte sie sich in ihrem Stolz verletzt. Eine solche Aufgabe sei »unwürdig«, schrieb sie in einem Brief an ihn und fügte unmissverständlich hinzu: »Mein Mann muss erstrangig sein!«

In ihrem Salon hatte sie unterdessen einen bekannten expressionistischen Dichter kennengelernt. Attraktiv fand sie ihn nicht gerade. Vielmehr spöttelte sie über seine O-Beine, seine »wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen«. Doch er gab ihr etwas, wonach sie sich am meisten sehnte: Er bewunderte ihr künstlerisches Talent. Nach Ende des Krieges bat sie ihren Ehemann um die Scheidung. Dieser willigte nicht nur ein, sondern nahm auch die Schuld für das Scheitern der Ehe auf sich, indem er sich in flagranti mit einer Prostituierten ertappen ließ.

Danach verstrichen fast zehn Jahre, bis sie ein drittes Mal heiratete, einen Mann, den sie nach eigenen Worten nicht mehr liebte. Doch sie hegte inzwischen die Befürchtung, dass sie zu alt sei, um einen anderen anspruchsvollen Lebenspartner zu finden. Als ihr Mann wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nazis verfolgt wurde, blieb sie tapfer an seiner Seite und emigrierte mit ihm nach Amerika. Nach dem Krieg nahm sie die US-Staatsbürgerschaft an und verfasste ihre Autobiografie, in der es heißt: »Gott vergönnte mir, die genialen Werke unserer Zeit zu kennen, ehe sie die Hände der Schöpfer verließen.« Sie starb mit 85 Jahren in New York.

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