Armutsbericht bleibt vorerst ohne Konsequenzen

Parlament debattierte über den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sorgte schon vor seiner Veröffentlichung für Schlagzeilen. Hinter den Kulissen wurde hart gerungen um Formulierungen, Interpretationen und mögliche Konsequenzen. Dabei fielen besonders unangenehme Passagen der ministeriellen Zensur zum Opfer. Als das 700-seitige Werk dann Anfang April unter dem Titel »Lebenslagen in Deutschland« erschien, war zwar einiges getilgt, doch trotzdem noch viel zu erfahren über »verfestigte Ungleichheit« bei den Vermögen und den Abstieg der unteren Lohngruppen. Auch wenn Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) aus dem Bericht eine »insgesamt positive Entwicklung der sozialen Lage« herausgelesen haben wollte, so konnte auch sie nicht verhehlen, dass der wirtschaftliche Aufschwung »nicht bei allen« ankommt. Konsequenzen zog sie vorerst keine.

Das blieb Sache der Opposition. LINKE und Grüne hatten am Freitag eine Debatte zu eben jenen Konsequenzen durchgesetzt. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, machte noch einmal deutlich, welche Dimensionen das Problem Armut mittlerweile hat: Jeder zehnte Beschäftigte sei armutsgefährdet, 6,5 Millionen Menschen im Hartz-IV-System gefangen und 2,7 Millionen Ältere von Armut bedroht, so Zimmermann. In Richtung Union und SPD sagte sie: »Wer sich dieser Diskussion nicht stellt, entzieht sich der Verantwortung.«

Zumindest der Diskussion stellten sich die Abgeordneten am Freitag: Paul Lehrieder (CSU), seines Zeichens Vorsitzender des Familienausschusses, räumte ein, »dass es auch in unserem Land Kinder gibt, die von Armut betroffen sind«. So vererbe sich Armut weiter und auch die Armutsrisikoquote habe sich in letzten Jahren erhöht - auf mehr als 16 Prozent. Alleinerziehende seien besonders betroffen. Doch mit der nun beschlossenen Ausweitung des Unterhaltsvorschusses und dem erweiterten Kinderzuschlag für Eltern mit Niedriglohn habe man Abhilfe geschaffen, so Lehrieder. Offenbar hat der Unionspolitiker am Dienstag das ARD-Politmagazin »Report Mainz« verpasst. Wie dort zu erfahren war, »erhalten gerade mal 30 Prozent der Eltern, die rechnerisch einen Anspruch hätten, den Zuschlag auch wirklich«. Viele scheitern oder geben angesichts eines undurchschaubaren Antragsverfahrens irgendwann auf. Lehrieder aber ermahnte lieber die Kollegen von der Opposition: »Reden sie Deutschland nicht schlechter als es ist.«

Diesen Gefallen taten diese ihm aber nicht. Der Grüne Sozialpolitiker Wolfgang Strengmann-Kuhn bezeichnete die Bilanz »von zwölf Jahren Regierung unter Unionsführung« als katastrophal. Nun sei endlich Handeln angesagt »Wir Grünen haben dazu immer wieder Konzepte vorgelegt«, so Strengmann-Kuhn. Doch im am Dienstag vorgestellten Zehn-Punkte-Programm der Grünen-Spitze spielt Sozialpolitik kaum eine Rolle. Wer mit der FDP koalieren will, muss hier eben Abstriche machen.

Die SPD-Abgeordneten Daniele Kolbe und Ulrike Bahr waren bereits im Wahlkampfmodus. Zwar räumte Kolbe ein, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgegangen sei, die Lage auf dem Arbeitsmarkt aber nicht so schwarz sei, wie die LINKE sie darstelle. Ulrike Bahr betonte, beitragsfreie Kitas seien eine hervorragende Prävention. Die Kitas beitragsfrei zu stellen, ist eine Wahlkampfforderung aus dem bislang sehr überschaubaren Portfolio von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz.

Wie zu erwarten, scheiterte die LINKE mit ihrem Antrag, dass die Bundesregierung »umgehend einen mehrjährigen und umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut« erarbeiten solle. Berücksichtigung sollten dabei Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund finden. Eine Kindergrundsicherung wollte man zudem einführen und das Kindergeld auf 328 Euro erhöhen. Ein weiterer Antrag der Fraktion wurde in den zuständigen Ausschuss verwiesen. Darin fordert die Linksfraktion, der Bundesregierung die Zuständigkeit für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung zu entziehen. Stattdessen solle eine »unabhängige Sachverständigenkommission« unter Beteiligung von Armut betroffener Personen sich um die Sache kümmern. Einen solchen Bericht könnte wohl nicht einmal mehr Andrea Nahles schönreden. Kommentar Seite 2

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