Höllisch? Himmlisch!

Bei Gregor Gysis Gesprächsreihe am Deutschen Theater: Anwalt Peter Raue

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Natürlich, mit Fliege! Und gleichfarbigem Stecktüchlein im Jackett. Das Stil-Signal des Rechtsanwalts Peter Raue. So kennt man sein Erscheinungsbild, etwa von Berliner Theaterpremieren, und fast keine versäumt er. Warum Fliege? Vielleicht aus Ersparnisgründen - »die Krawatte ist das Teuerste beim Essen.« Er hat auch im Äußeren ein souveränes Empfinden für Extravaganz, und wie er textil so hereinstrahlt, darf an die klägliche Art gedacht werden, wie bürgerliche Grandezza des Öfteren herabgeputzt wird - bereits der ausgesuchte Schal des neuen Volksbühnenchefs Chris Dercon muss in Zeitungen ausdauernd als Stanze herhalten für abschätzige Vorauskommentare. So, wie es dem FDJ-Hemd Angela Merkels erging: Das grob Plebejische, das rüde Ideologische greift gern zum skurrilen Fundamentalismus. Raue setzt auf Farbe und ist erfreuend.

Am Sonntag war der Anwalt im Deutschen Theater zu Gast bei »Gregor Gysi trifft Zeitgenossen«; beiläufig meint er zum Titel der Gesprächsreihe: »Zeitgenossen treffen - ja, wen denn sonst?« Der spitze Ton lauert bübisch unter der Höflichkeitsschicht des gesamten Gesprächs: Rhetoriker trifft auf Rhetoriker. Auch Gysi strahlt Helle aus, als sei er dem Linksparteitag in Hannover ausgesprochen glücklich entronnen. Die Freude des Weltenwechslers - der zunächst seinen nächsten Gast ankündigt, für Oktober: Kanzleramtsminister Peter Altmayer. Belustigtes Räuspern im Saal - ach Gottchen, Parteilichkeit kennt wirklich keine Grenzen. Der Clou: Der CDU-Politiker wird Gysis Autobiographie vorstellen! Man darf das Kultur nennen oder Feindbildlosigkeit oder wirkliches Interesse an dem, was einem selber klar widerspricht. Offenheit, nicht immer also diese Bissfestigkeit, die aus einem Gesicht gefährlich schnell ein Kampfgebiet macht.

Raue, 1941 in München geboren, erzählt von seiner Kindheit: »Ich war im Elternhaus ein Unverstandener.« Weil er las, ins Theater ging. Der Vater war Architekt - und nicht sein Vater. Er hatte die Mutter Peters geheiratet, der wahre Vater musste aus rassischen Nazigründen fliehen. Der Sohn erfuhr’s, da war er 35. Ein Schock - »und eine Befreiung, weil mir jetzt die Gespanntheit in der Familie klar wurde, die ich stets gespürt hatte, aber nie erklären konnte«. Er hatte großartige Lehrer, aber ihn erschreckte, dass so viele alte Nazis darunter waren - und niemand darüber sprach. Raues Abiturrede erhob dies zum Thema. Ein Skandal. Und der junge Katholik erlebt einen übergewichtigen Pfarrer, der predigt, wichtig sei nicht das Essen, sondern die Liebe. Das Doppelgesicht der Seelenerziehung. »Mich faszinierte Luther, aber ich blieb Katholik.« Des Menschen Zwickmühle: Er träumt die andere Welt, bleibt aber in seiner angestammten. Papst Franziskus? »Ein wunderbarer Mann«, die Kurie werde leider alles tun, ihn zu erledigen.

Berührend, wie Raue von der ersten Begegnung mit seinem Vater auf Sardinien erzählt, einem Lebenskünstler, einem »Vagabunden«, der kaum Bücher las (»Er sagte, er habe so viel zu denken, was solle er da noch lesen?!«). Behutsam erzählt der Anwalt von Ausstrahlungen seiner Mandantenschaft: Botho Strauß, Wim Wenders, Heiner Müller, Springer-Konzern, Suhrkamp Verlag, Berliner Ensemble. Ansteckend die Kunst-Lust des Bildersammlers und Ausstellungsinitiators. Drei Jahrzehnte leitete er den Verein der Freunde der Nationalgalerie. Jetzt ist das Gespräch ein Disput über Sponsoren, Stiftungen und Millionenbeträge, aber es bleibt eine Erzählung von geistigen Genüssen und Ansprüchen (»Einmal schrieb jemand an die Kanzlei, er bezahle die Anwaltsrechnung nicht, da das Geld sowieso nur wieder in Kunst gesteckt würde«). Gysi bewundert die »höllische Arbeit« des Mäzenatentums. Raue widerspricht: »eine himmlische Arbeit«.

Hinter Anwaltsgeheimnissen warten Anekdoten auf ihre Gelegenheit. Von Heiner Müller erzählt Gysi: »Er erläuterte mir eine Viertelstunde lang sein Mietproblem. Mir fiel seine ›Weiberkomödie‹ ein. Ein DDR-Bauer steht an der deutsch-deutschen Grenze und sagt: ›Ja, ja, das Gras wächst von hüben und drüben, nur der Mensch braucht Papiere.‹ Treffender geht’s nicht. Ich fragte Müller, wieso er das Mietproblem nicht so formuliere, dass es mir ebenfalls einleuchtete. Er sah mich kopfschüttelnd an: ›Wenn ich reden könnte, würde ich doch nicht schreiben.‹« Vom neuen Berliner Kultursenator meint Raue lächelnd, er sei »intelligent, obwohl er Anwalt sei«. Klaus Lederer sei einer der wenigen Politiker, »mit denen man über Theater reden kann - weil er ins Theater geht«. Nicht funktionsbedingt, sondern aus Bedürfnis.

Warum Raue Anwalt geworden sei? Ihn habe der Denkstoff gereizt, nicht der Paragraph. »Was ist gut, was böse? Wem glaubt man, wem nicht? Bewegende Fragen.« Und er zitiert den Verfassungsrechtler Carl Sartorius: Ob der Mensch verantwortlich sei, wüssten wir nicht, aber wir müssten das suggerieren, um ihm nicht die Würde zu nehmen. Ein vergnüglicher Vormittag mit der geistreichen bürgerlichen Extravaganz.

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