Studie zur Berichterstattung über Großdemonstrationen

Institut für Protest- und Bewegungsforschung warnt Journalisten vor typischen Fehlern bei G20-Berichterstattung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenige Tage vor dem Beginn des G20-Gipfels gibt es bereits unzählige Berichte, in denen die Protestierer als »Gipfelchaoten« diffamiert werden, nicht nur in den Boulevard-Medien. »Man könnte den Eindruck bekommen, dass Hamburg in Schutt und Asche gelegt wird«, sagt Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Hierbei zeige sich der Einfluss, den Medien ausüben: »Ob ein Protest als Chance auf Veränderung oder als Bedrohung wahrgenommen, hängt stark davon ab, in welchem Medium man sich informiert.« Teune hat mit dem Sozialwissenschaftler Moritz Sommer unter der Mitarbeit des Berliner Soziologen Dieter Rucht eine Studie erstellt, die die Berichterstattung über Großdemonstrationen untersucht. Am Freitagvormittag präsentierten sie ihre Arbeit in Berlin.

Methodisch haben die Forscher 369 Beiträge zu sieben Demonstrationen unter die Lupe genommen, die zwischen 2003 und 2015 erschienen sind. Untersucht wurden elf Medien, darunter Tageszeitungen von »Taz« bis »Bild«, die Wochenzeitungen »Spiegel«, »Focus« und »Zeit« sowie die öffentlich-rechtlichen Sender »ARD«, »ZDF« und »Deutschlandfunk«. Ergänzend führten sie Interviews mit Journalisten.

In den Ergebnissen zeige sich, dass Medien wie »Taz« oder die »Frankfurter Rundschau« eher »empathisch« über Proteste berichten, solange diese keine antiliberalen Inhalte vertreten. Konservative Medien wiesen die Proteste dagegen tendenziell als »antidemokratische Inszenierungen« zurück; öffentlich-rechtliche Medien versuchten einen Mittelweg zu gehen. In einigen Deutungen gebe es das Bild des Protestes als eine »leicht naive Form des Aktivismus, der von einer (linken) Minderheit artikuliert werde und wenig bedeutsam sei«, so die Studie. Implizit zeige sich damit speziell bei konservativen Medien ein stark instutionalisiertes Verständnis von Politik. Medienübergreifend gebe es klare Grenzziehungen: »Steinewerfende Linke werden genau wie übergriffige Pegida-Demonstranten abgelehnt«, sagte Teune. Die Proteste in Heiligendamm 2007 wie auch von Pegida ab 2014 bekamen die negativsten Bewertungen in den Medien.

Kein Zusammenhang zwischen Sympathie und Tiefgründigkeit

Interessant scheint der Zusammenhang zwischen Journalistensympathie und der Tiefgründigkeit der Darstellungen: Obwohl beispielsweise alle der untersuchten Medien die Demonstrationen nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima positiv bewerteten, setzte sich kein Medium mit den Argumenten der Teilnehmer auseinander. »Der Protest verpuffte wirkungslos«, erläuterte Teune. Bei dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 ging es dagegen trotz zahlreicher Beiträge in der Berichterstattung fast ausschließlich um Konflikte mit der Polizei, Hintergründe konnten ebenfalls kaum durchdringen. Unterschiede bei den Aktionsformen wären kaum ins Gewicht gefallen: »In vielen Berichten gab es keine Anerkennung dafür, dass Grenzziehung stattfanden«, sagte Teune.

Die Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen TTIP bekamen wiederum zwar – gemessen an ihrer Teilnehmerzahl – wenig Presseaufmerksamkeit, dafür wurde sich am intensivsten mit ihren Forderungen auseinandergesetzt. Sie konnten die Debatte am stärksten verändern. Für die Forscher scheint es hilfreich zu sein, wenn Protestgruppen ein Thema aufgreifen, dass in aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten vorkommt.

Die Studie zeigt ebenso auf, dass die Berichterstattung auch »gesellschaftliche Ungleichverhältnisse« widerspiegelt. Proteste von etablierten, ressourcenstarken Organisationen würden positiver wahrgenommen, während »randständige Gruppen« kaum Aussicht auf Beachtung hätten. »Was in den Redaktionen als relevant angesehen wird, entspricht deren Erfahrungshorizont, geprägt durch ein dominant weißes Mittelschichtsmilieu«, heißt es in dem Papier.

Typische Fallstricke für Journalisten

Der kommende G20-Gipfel stelle nun ein mediales Großereignis dar mit »Symbolfiguren«, »symbolischer Zuspitzung« und einem »berechenbaren Aufmerksamkeitsfenster«. »Autonome wie Polizisten wollen zeigen, wer in der Stadt das sagen hat«, erklärte Teune. In der tagesaktuellen Berichterstattung drohe wie in Heiligendamm die inhaltliche Auseinandersetzung aber auf der Strecke zu bleiben. Vor allem im Vorfeld des Gipfels biete sich Journalisten dabei die Möglichkeit, sich mit Hintergründen zu beschäftigen.

Für den Gipfel warnen die Forscher vor typischen journalistischen Fallstricken: Trotz einer Gewaltdebatte dürfe man beispielsweise das Differenzierungsvermögen bei sozialen Bewegungen nicht verlieren. In den komplexen Gefügen gebe es nicht nur Steinewerfer, sondern auch interne Abgrenzungen und Debatten. Journalisten sollten dabei nicht nur die selektiven Fernsehbilder kommentieren sondern vor Ort sein. »Selbst in konservativen Medien kommen Protestierende als Sprecher vor, wenn der Journalist sich Kontakte aufgebaut hat und vor Ort war«, sagte Teune. Gleichzeitig könne auch professionelle Medienarbeit seitens der Bewegungen etwas ausrichten: »Wenn man ein Angebot schafft, das auf die Bedürfnisse der Journalisten zugeschnitten ist, hat man die Möglichkeit, ernst genommen zu werden.«

Die Forscher weisen auch auf ein Dilemma hin, dem Protestbewegungen unterliegen. So inszeniere man »Ereignisse«, um Aufmerksamkeit für eine grundsätzliche Kritik zu erzeugen. Längerfristige Perspektiven wie auch die Bewegungsgeschichte drohen dabei jedoch aus dem Blick zu geraten. Grundsätzliche gesellschaftliche Konfliktlinien würden medial nur aufgegriffen werden, wenn ein Protest bereits als Thema gesetzt sei. Der Blick auf mediale Deutungsrahmen führe weiterhin zu ungewollten journalistischen Routinen. Ist der Protest »friedlich« oder »gewalttätig«? Bilden die Demonstranten die »breite Bevölkerung« ab oder sind es die »üblichen Verdächtigen«? Einzelne Aspekte der Demonstration könnten dabei schnell die Deutung des Ganzen übernehmen. Journalisten dürften nicht vergessen, das Geschehen einzuordnen und sich mit dem Gegenstand zu beschäftigen.

Die Polizei sei zuletzt kein »neutraler Akteur«, sondern eine »Konfliktpartei«, mit taktischer Öffentlichkeitsarbeit. »Sie schafft auf den Demonstrationen Tatsachen, um ihren Spielraum zu vergrößern«, sagte Teune. Ihre Aussagen müssten von Journalisten genau wie die der anderen überprüft werden.

»Zwischen Emphase und Aversion – Großdemonstrationen in der Medienberichterstattung«
Von Simon Teune und Moritz Sommer unter Mitarbeit von Dieter Rucht. Forschungsbericht des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung

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