Srebrenica kennt keine Versöhnung

Serbische und bosnische Politiker verharmlosen Verbrechen eigener Truppen

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch immer sind nicht alle Opfer des schwersten in Europa begangenen Kriegsverbrechens seit dem Zweiten Weltkrieg beerdigt. Doch die ersten verurteilten Täter sind 22 Jahre nach dem Massenmord an über 8000 männlichen Zivilisten in der ostbosnischen Muslim-Enklave Srebrenica bereits wieder frei.

Während am Jahresstag am Dienstag die Überreste von weiteren 70 identifizierten Todesopfern des Genozids auf dem Gedenkfriedhof in Potocari beerdigt werden sollen, sind laut Recherchen der BIRN-Agentur mittlerweile zwölf der vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag und vor bosnischen Gerichten verurteilten Täter nach Abbüßung ihrer Strafe aus der Haft entlassen worden.

Doch von einer Versöhnung über den Gräbern von Srebrenica ist der Balkan noch immer weit entfernt. Erst hatte die Angehörigenorganisation »Die Mütter von Srebrenica« den serbischen Bürgermeister der Provinzstadt Mladen Grujicic zur unerwünschten Person auf der Gedenkfeier erklärt. Dann wurde deren Auto unweit von Potocari in der vergangenen Woche mit Steinen beworfen. Aber noch mehr belasten Gegenveranstaltungen serbischer Nationalisten das diesjährige Totengedenken.

Deren Antrag auf Errichtung eines Denkmals zu Ehren des früheren russischen UN-Botschafters Witali Tschurkin, der 2015 die Verabschiedung einer UN-Resolution zur Verurteilung des Genozids von Srebrenica im UN-Sicherheitsrat per Veto verhinderte, hat der Gemeinderat zwar abgelehnt.

Doch obwohl Bürgermeister Grujicic nach heftigen Protesten aus dem In- und Ausland auch die umstrittene Autorenlesung einer Publizistin abgesagt hat, die den Genozid negiert, kann von einer würdigen Atmosphäre vor dem Totengedenken keine Rede sein.

Es ist eine provokative, am Jahrestag des Srebrenica-Massakers in Banja Luka zugelassene Solidaritätsdemonstration für den vor dem UN-Tribunal stehenden, mutmaßlichen Haupttäter Ex-General Ratko Mladic, der die Angehörigen der Opfer verbittert - und auch viele bosnische Serben beschämt. »Während ›sie‹ ihre Opfer beweinen, werden ›wir‹‘ Ratko Mladic feiern«, titelt das bosnisch-serbische Newsportal »buka.ba«: »Immer wenn man glaubt, dass es schlimmer nicht mehr geht, belehrt einen der nächste Tag eines Schlechteren.«

Dass in Bosnien viele jüngere, erst nach dem Krieg geborene Serben ausgerechnet Kriegsverbrecher wie Radovan Karadzic oder Mladic als ihre Idole feiern, ist für Branko Todorovic keine Überraschung. Der Vorsitzende des Helsinki-Komitees in Banja Luka erklärt, im Teilstaat der Republika Srpska seien in den 22 Jahren seit Kriegsende »keinerlei institutionelle Schritte« unternommen worden, sich den von eigenen Truppen begangenen Kriegsverbrechen zu stellen und Solidarität mit den Opfern zu zeigen: »Diese jungen Leute sind Opfer der Unwissenheit, der Manipulationen der Anhänger von Karadzic und Mladic, der Verfälschung der Wahrheit über den Krieg.«

Tatsächlich strickt die Führung des Teilstaats - ähnlich wie umgekehrt auch Politiker der muslimischen Bosniaken - an der Verharmlosung der von den eigenen Truppen begangenen Kriegsverbrechen und der Heroisierung der Täter eifrig mit. So weihte Teilstaatspräsident Milorad Dodik 2014 in Pale ein nach Karadzic benanntes Studentenheim ein und pries dabei den vom UN-Tribunal zu 40 Jahren Haft verurteilten Ex-Serbenführer als »Visionär«.

Kritiker sehen sich nicht nur des Vorwurfs der Nestbeschmutzung ausgesetzt: Der Kolumnist Dragan Bursac, der die Demonstration für Mladic öffentlich als »Feiern des Genozids« bewertete, hat bereits Todesdrohungen erhalten.

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