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Im Leichensack am Zeichentisch

Eine Ausstellung in Kassel widmet sich aktueller Satire aus der Türkei, dazu erscheint ein Band mit politischen Cartoons

  • Waldemar Kesler
  • Lesedauer: 3 Min.

Spätestens seit dem Eklat um Jan Böhmermanns Schmähgedicht ist auch in Deutschland bekannt, dass der türkische Präsident Erdoğan sich nicht durch den Kakao ziehen lässt, ohne im Gegenzug schwere Geschütze aufzufahren. Die Lage hat sich für türkische Satiriker seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 deutlich verschlimmert. Tausenden politischen Gefangenen wird wegen der mutmaßlichen Unterstützung von terroristischen Vereinigungen der Prozess gemacht. Angst lastet auf politischen Zeichnern. Viele Gesetze schränken ihre Arbeit ein. Alle Satirezeitschriften leiden momentan an sinkenden Verkaufszahlen. Vor allem die Verkaufseinbrüche außerhalb der Metropolen machen ihnen zu schaffen. Händler und Vertriebsfirmen bekommen dort Schwierigkeiten, wenn sie Satirehefte verkaufen.

Dieser Entwicklung fiel die Zeitschrift »Penguen« als erste zum Opfer. Ihre Produktion wurde Ende April 2017 eingestellt. Die regierungsnahe »Misvak«-Redaktion reagiert mit einer hämischen Karikatur, in der ein Pinguin versucht, mit Hilfe von künstlichen Flügeln zu fliegen, aber gegen eine Wand kracht.

Die Redaktionen der führenden Zeitschriften »LeMan« und »Uykusuz« räumen ein, zuweilen Selbstzensur üben zu müssen. Manche Zeichnungen, die Tuncay Akgün, Chefredakteur der Satirezeitschrift »LeMan«, früher selbstverständlich auf dem Titelblatt veröffentlicht hätte, lässt er heute vorsichtshalber im Innern des Hefts versteckt. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungsverfahren gegen die Zeitschrift »Uykusuz« eingeleitet. Anlass dazu sind zwei Titelbilder zum Referendum über das Präsidialsystem. Der genaue Sachverhalt wird den Redaktionen nicht mitgeteilt. Die deutliche Drohung, die von den laufenden Verfahren ausgeht, schränkt die Bereitschaft zur freien Meinungsäußerung ein. Auch die Zahl der in den Redaktionen eingehenden Drohungen von Lesern hat stark zugenommen.

In der Caricatura-Galerie in Kassel ist ab diesem Mittwoch die Ausstellung »Schluss mit Lustig - Aktuelle Satire aus der Türkei« zu sehen. Sie wurde von Sabine Küper-Büsch von der Istanbuler Künstlerinitiative Diyalog Derneği kuratiert. Der Ausstellungskatalog der Caricatura-Edition erscheint zeitgleich im Avant-Verlag. Fünfzig bekannte türkische Cartoonisten wollen mit ihren darin versammelten Arbeiten ein Zeichen für die Pressefreiheit setzen. Der Band vermittelt einen Eindruck von der Wechselwirkung zwischen der politischen Repression und den zeichnerischen Lösungen, mit denen die Satiriker versuchen, den Repressalien zu entgehen und weiterhin veröffentlichen zu können.

Die Cartoonisten Bahadır Baruter und Özer Aydoğan wurden im März 2015 zu elf Monaten Haft verurteilt. Sie hatten für »Penguen« ein Titelbild gestaltet, auf dem Erdoğan sich über die bescheidene Begrüßung bei seinem Einzug in den neugebauten Präsidentenpalast beklagt. Es hätte zu diesem Anlass doch zumindest ein Journalist geschlachtet werden können. Der devote Palastangestellte bildet auf der Zeichnung mit Daumen und Mittelfinger einen Kreis. Das Gericht gab vor, sich nicht für die Kritik an der Verfolgung von Journalisten zu interessieren. Es fasste stattdessen diese Handbewegung als homosexuelle Geste und somit als Präsidentenbeleidigung auf. Die Haftstrafe wurde in eine Geldstrafe umgewandelt, doch beiden Cartoonisten droht bei einer erneuten Verurteilung das Gefängnis.

Bahadır Baruter zeichnete nach der Verurteilung eine Reihe düsterer Bilder, die die Abschaffung der Meinungsfreiheit abstrakter als seine vorherigen Arbeiten thematisieren und dadurch weniger konkrete Angriffsfläche bieten. Er verabschiedet sich darin aber auch vom satirischen Humor. Auf einem Bild versinkt sein Arm in einem weißen Blatt, während um ihn herum eine stürmische Nacht herrscht. Auf einem anderen hängt er in einem Leichensack über seinem Zeichentisch.

»Schluss mit Lustig« veranschaulicht, wie sich die Bildsprache von Karikaturen in der politischen Krise verändert, unter dem Druck von Systemvertretern, die Satire nicht verstehen und sie kategorisch ablehnen.

»Schluss mit Lustig. Aktuelle Satire aus der Türkei«, vom 19. Juli bis zum 27. August in der Caricatura - Galerie für Komische Kunst, Rainer-Dierichs-Platz 1, Kassel

Der gleichnamige Begleitband erscheint im Anvant-Verlag (80 S., geb., 15 €).

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