Werbung

Hoffen auf ein »Lockerbie-Wunder«

Mordfall MH17: Das Monument aus Bäumen und ein Versprechen auf Gerechtigkeit

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zeremonie war seit langem vorbereitet worden. Bereits im März hatte man begonnen, nahe dem Amsterdamer Flughafen Schiphol 298 Bäume zu pflanzen. Jeder hat ein Namensschild und steht so für ein Opfer von Flug MH17. Am 17. Juli 2014 war die Boeing 777 von Malaysia-Airlines über dem Frontgebiet im Osten der Ukraine abgeschossen worden. Der Wald ist seit Montag ein »Nationales Monument«. Dazu haben es das niederländische Königspaar sowie der amtierende Ministerpräsidenten Mark Rutte erklärt.

An Bord der Boeing waren 196 Niederländer, zahlreiche Australier, Belgier, Ukrainer und Malaysier. Der Mord an ihnen ist nicht gesühnt, auch weil noch immer darüber gestritten wird, wer die Rakete, mit der das Flugzeug aus rund 10 000 Metern Höhe geholt wurde, abschoss.

Bei der Beurteilung der Tat zählen weniger Fakten als politische Meinung. Auch wenn die selbst ernannte Enthüllungsplattform »Bellingcat« einen anderen Anschein erweckt. Pünktlich zum Jahrestag präsentieren die Internet-Rechercheure auf 73 Seiten die angeblich letzten ultimativen Beweise dafür, dass es eine russische BUK-Lafette war, die eine ihrer vier Raketen gegen das Zivilflugzeug gefeuert hat. Man hat den Weg eines Kettenfahrzeugs mit der taktischen Nummer 332 in das Rebellengebiet verfolgt. Und zwar anhand von Daten, die man im Internet gewinnen kann. Es soll zur 53. Flugabwehr-Raketenbrigade der russischen Streitkräfte gehören. »Bellingcat« nennt Kommandeure, mutmaßliche Täter, Orte, Zeitabläufe.

Es ist beeindruckend, was das weltweite Netz alles speichert und bei entsprechend intensiver Suche auch wieder herausrückt. Doch all das führt nicht zu gerichtsverwertbaren Beweisen. Die Fakten taugen auch kaum als Indizien, denn die Recherche ist von Anfang an nur auf ein Ziel ausgerichtet gewesen: Die Schuld Russlands, das die Rebellen in der Ostukraine massiv unterstützt, sollte bewiesen werden.

Entsprechend vehement ist die Abwehr aus Russland. Dort versucht man vor allem zu beweisen, dass die BUK-Rakete von ukrainischen Truppen abgeschossen wurde. Man legt Radarbilder vor, lässt die BUK-Herstellerfirma Expertisen verfassen und gelangt zu akrobatischen Gedankenspielen. Russlands Präsident Wladimir Putin knüpfte jüngst in einem Interview mit dem US-Regisseur Oliver Stone an erste Äußerungen aus Washington an, laut der die USA über eindeutige Beweise verfügen. Beweise gegen wen? Offenbar nicht gegen Russland, meinte Putin angesichts des andauernden US-Schweigens und vermutete, dass die Erkenntnisse der US-Geheimdienste deshalb nie ans Licht kommen werden.

»Wir werden jeden Stein umdrehen«, hatte Rutte gleich nach der Katastrophe versichert und mit »wir« das internationale Ermittlungsteam zur Klärung der Umstände des Abschusses gemeint. Darin arbeiten Vertreter aus Australien, Malaysia, Belgien sowie der Ukraine zusammen. Von den Experten gibt es düstere Andeutungen, doch keine klaren Aussagen. Rund Hundert Personen, die mutmaßlich eine Rolle gespielt haben, hätte man im Blick, heißt es. Auf dieser Basis ein Gerichtsverfahren in den Niederlanden zu eröffnen, scheint juristisch abenteuerlich. Doch auch nicht ganz abwegig.

1988 zerriss eine Bombe eine Boeing der US-Fluggesellschaft Pan Am über der schottischen Ortschaft Lockerbie. 270 Menschen kamen um. Zwölf Jahre nach dem Anschlag gab es einen Prozess - vor einem schottischen Gericht in den Niederlanden. Und eine Verurteilung. Der libysche Geheimdienstoffizier Abdel Basset Ali al-Megrahi bekam »lebenslänglich«. Lebenslänglich dauerte nicht lang, denn der Verurteilte war arg von Krebs gezeichnet. Libyen erklärte sich - ohne Schuldeingeständnis - bereit, 2,7 Milliarden US-Dollar Entschädigung zu zahlen, um einer weiteren Konfrontation mit dem Westen aus dem Wege zu gehen. Das half nichts. 2011 wurde die Herrschaft von Machthaber Muammar al-Gaddafi beendet. Durch Krieg. Der freilich nicht half, eine einzige offene Fragen zum Lockerbie-Attentat zu beantworten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal