Kriminelle Türsteher

Die EU-Unterstützung für die libysche Küstenwache wird ausgebaut - trotz harscher Kritik von Menschenrechtsorganisationen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehrere Schlauchboote treiben auf dem Mittelmeer. Teams der Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée versuchen, die zusammengepferchten Insassen zu retten. Während eine erste Gruppe von 20 Erschöpften zu den Hauptschiffen gebracht wird, nähert sich ein Schnellboot mit dem Emblem der libyschen Küstenwache. »Zwei uniformierte und bewaffnete Mitarbeiter traten auf eines der Schlauchboote. Sie nahmen den Insassen Telefone, Geld und andere Habseligkeiten weg«, beschrieb Annemarie Loof von Ärzte ohne Grenzen die folgende Situation. Die Libyer schossen laut Loof dann in die Luft. Eine Massenpanik entstand, Dutzende Menschen sprangen ins Wasser. Ärzte ohne Grenzen holte sie aus den Wellen. »Es ist ein Wunder, dass niemand ertrunken ist.«

Der Zusammenstoß von Ende Mai ist nur einer von vielen, mit denen die libysche Küstenwache die Einsätze von Seenotrettungsorganisationen behinderte und dabei zum Teil Schusswaffen einsetzte. In einem offenen Brief erklärten drei Rettungsorganisationen gegenüber Bundeskanzlerin Merkel (CDU) im Juni: »Wir fordern Sie auf, sich zum Verhalten der libyschen Küstenwache zu positionieren und deutlich zu machen, dass ihr gefährdendes Verhalten sich in Widerspruch zum europäischen Wertekanon und zu Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen befindet.« Jegliche Unterstützung trage zur Gefährdung von Menschenleben bei und sollte unterbleiben.

Die EU besteht jedoch trotz der Kritik darauf, die libysche Küstenwache weiter zu stärken, um Flüchtlingsbewegungen nach Europa einzudämmen. Seit Oktober 2016 wurden im Rahmen der EU-Grenzschutzmission »Sophia« rund 100 Libyer ausgebildet, für knapp 300 weitere ist Training vorgesehen. Bis 2018 sollen zudem eine libysche Seenotrettungsleitstelle sowie eine Rettungszone außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer (rund 24 Kilometer) eingerichtet werden. Da diese bisher nicht besteht, koordiniert die Rettungsstelle in Rom alle Einsätze bis zu den Hoheitsgewässern. Bei einer Änderung müssten sich NGOs dem Diktat der libyschen Küstenwache unterwerfen.

Die EU unterstützt die libysche Einheitsregierung, die nur einen kleinen Teil des Staatsgebietes kontrolliert, weiterhin mit rund 90 Millionen Euro aus einem EU-Hilfefonds für Afrika. »Mit der zweckentfremdeten Entwicklungshilfe für die militärische Küstenwache in Libyen stiehlt sich die EU aus der Seenotrettung heraus«, sagte Andrej Hunko von der LINKEN. Die Truppe sei für Folter, Misshandlungen und Schüsse auf Rettungsorganisationen bekannt. Aus Sicht der LINKEN verstößt Libyen zudem gegen das »Nichtzurückweisungsprinzip« der Genfer Flüchtlingskonvention. Demnach darf kein Staat einen Flüchtling in ein Land zurückschicken, in dem Gefahr für sein Leben besteht. Laut dem Auswärtigen Amt könne man das Völkerrecht nicht auf die Lage in Libyen anwenden.

Ein öffentlicher Report des UN-Sicherheitsrates vom Juni bestätigte die Verbindung der libyschen Küstenwache mit kriminellen Netzwerken. Bewaffnete Gruppen haben demnach vormals staatliche Institutionen unter ihre Kontrolle gebracht. Auch die Grenzschutzagentur Frontex sowie das Auswärtige Amt erkennen diesen Umstand zum Teil an.

Laut den UN-Reportern werden Flüchtlinge in Libyen in Farmen, Raffinerien, Privathäusern und geschlossenen Camps festgesetzt. Dort drohen Frauen Vergewaltigungen, subsaharischen Migranten »Versklavung«. Die Bilanz fällt verheerend aus: »Weder die Küstenwache noch die Marine wurden dem UN-Komitee als Teil der Sicherheitskräfte, die unter Kontrolle der Einheitsregierung stehen, mitgeteilt.«

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