Wo einst Revolutionäre eindrangen
Ein Bundespolizei-Quartier in einem historischen Areal
Berlin, Schöneberger Ufer 1. So lautet die Adresse der neuen Bundespolizeidirektion 11. Das rote Backsteingebäude in Kreuzberg hat eine interessante Geschichte. Einst war es Dienstgebäude der Königlichen Eisenbahndirektion. 1918 war Schluss mit der adligen Vorherrschaft in Deutschland. Für eine kurze Zeit übernahmen Revolutionäre die Herrschaft im Haus. Bevor dann alles wieder ordentlich verwaltet wurde. Von der Reichseisenbahn, der späteren Deutschen Reichsbahn, die hier ihren Direktionssitz nahm.
Auch aus Sicht der Kriminalhistorie ist Einiges bemerkenswert. 1928 versuchten die Gebrüder Sass sich die in dem Gebäude lagernden Lohngelder anzueignen. Literaturbeschlagene begegnen dem Gebäude der Eisenbahndirektion unter anderem in Hans Falladas Roman »Ein Mann will nach oben«.
Spannend wurde es dann nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn die Reichsbahn - und damit das Areal - war eine Angelegenheit der Sowjetzone, später der DDR. Es gab mehrere Zwischenfälle zwischen der sowjetischen und amerikanischen Besatzungsmacht sowie der Westberliner Polizei. Ab 1958 nutzte die Reichsbahn das quasi exterritoriale Gebäude als Poliklinik für die Westberliner Reichsbahnangestellten.
1989 wurde das Gebäude dann zum Tauschobjekt. Die BVB der DDR brauchte dringend U-Bahn-Waggons für die neue Strecke nach Hellerdorf. Die Westberliner BVG hatte noch alte U-Bahn-Waggons übrig. Also vereinbarten der Westberliner Senat und die Deutsche Reichsbahn der DDR die Übergabe des Ziegelbaus am Schöneberger Ufer.
Eigentlich sollte die Oberfinanzdirektion dort einziehen, um an derem bisherigen Standort Platz für Hotels zu schaffen. Doch anders als üblich im Immobiliensumpf Westberlin lief der Deal nicht. Dann kam auch schon die Wende. Nach der Generalsanierung von 1991 bis 1995 zog die Berliner Niederlassung der Bahn ein und 2002 wieder aus. 2006 machte sich der Bombardier-Konzern breit, fand aber dann ein repräsentativeres Gebäude in der Nähe. Nun hat die Bundespolizei ihr Namensschild angebracht. Nur ein steinernes Flügelrad erinnert noch an alte Zeiten. hei
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