Ernteausfälle sorgen für Existenznöte

Sich verschärfende klimatische Bedingungen lassen die Zahl der Selbstmorde unter indischen Bauern steigen

  • Frederic Spohr
  • Lesedauer: 3 Min.

Der mächtige Kaveri im Süden Indiens ist die Lebensader für Millionen Menschen. Doch derzeit ist der fast 800 Kilometer lange Strom an vielen Stellen nur noch ein Rinnsal. Die anhaltende Dürre hat Schätzungen zufolge bereits rund 300 Menschen das Leben gekostet.

Derzeit trifft es vor allem die Bauern im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Doch in den vergangenen Jahren wurden auch andere Teile des Subkontinents immer wieder von schweren Dürren und Unwettern heimgesucht. Nach Ernteausfällen fordern derzeit mehr als 30 Millionen Bauern vom Staat, dass er für ihre Schulden aufkommt. In vielen Dörfern herrscht Verzweiflung.

Immer wieder machen die Landwirte bei ihren Protesten auf die enorme Zahl an Selbstmorden auf dem Land aufmerksam: Allein im Bundesstaat Maharashtra haben sich zwischen 2013 und 2016 mehr als 9500 Bauern das Leben genommen. In ganz Indien töteten sich laut der Weltgesundheitsorganisation seit 1995 mehr als 300 000 Bauern und Tagelöhner selbst. Viele von ihnen tranken giftige Pestizide.

Umstritten war bisher, wie stark Klimaveränderungen, Ernteausfälle und Selbstmorde zusammenhängen. Doch eine neue Studie der Universität Berkeley zeigt nun eine alarmierende Verbindung auf. Demnach sollen die Folgen der Erderwärmung in den vergangenen 30 Jahren zu insgesamt fast 60 000 Selbstmorden in Indien geführt haben, erklärt die Agrarökonomin Tamma Carleton. Angesichts der hohen Dunkelziffer bei Suiziden dürfte der Effekt sogar noch größer sein.

An allen Tagen, an denen es wärmer ist als 20 Grad, führt der Studie zufolge eine Erwärmung um ein weiteres Grad im Schnitt zu 65 Selbstmorden. Der Effekt tritt dabei nur zu jener Jahreszeit auf, in der die Pflanzen wachsen. Das höhere Risiko für Selbstmorde bei steigenden Temperaturen in der Wachstumsphase sei eindeutig, sagt Carleton.

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels könnte sich die kritische Situation in den ländlichen Regionen des Subkontinents weiter zuspitzen. Klimaforscher halten es für möglich, dass sich Indien bis 2050 um durchschnittlich drei Grad Celsius erwärmt. Und offenbar ist es vielen indischen Bauern bisher nicht gelungen, sich an vorhergehende, weit geringere Klimaveränderungen anzupassen.

Ein Großteil der Landwirte arbeitet mit primitiven Mitteln: Schätzungen gehen davon aus, dass rund 60 Prozent der Felder auf dem Subkontinent nicht systematisch bewässert werden können. Das macht die Bauern hochgradig abhängig von Niederschlag. »Wird den Familien nicht geholfen, ist es wahrscheinlich, dass wir wegen des sich verschlimmernden Klimawandels in Indien noch mehr Selbstmorde sehen werden«, sagt Forscherin Carleton.

Das Leid der Landbevölkerung wird dabei auch immer stärker zum politischen Sprengstoff. Rund die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Erst im Juni kam es im Bundesstaat Madya Pradesh zu schweren Ausschreitungen, bei denen fünf Bauern erschossen wurden. Derzeit fordern Landwirte in sieben Bundesstaaten, dass sie nicht mehr für ihre Schulden aufkommen müssen.

Um weitere Krisen zu verhindern, hatte die Regierung in Delhi vergangenes Jahr eine Art Versicherung für Ernteausfälle angeboten und dafür umgerechnet rund 1,3 Milliarden US-Dollar im Haushaltsplan veranschlagt. Doch noch erzielt das Programm nicht die gewünschte Wirkung. Einer Umfrage zufolge haben mehr als die Hälfte der Bauern von diesem Angebot noch nie gehört.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal