Syrien darf weiter träumen

2:2 in Iran: Nur noch zwei Playoffrunden trennen Syrien von der ersten WM-Teilnahme

  • Jan Kuhlmann, Teheran
  • Lesedauer: 3 Min.

Als schon alles vorbei schien, stürmte Syriens Nummer neun plötzlich unbedrängt in den Strafraum. Von halbrechts zog Omar al-Soma ab. Der Ball rollte erst durch die Beine des iranischen Torwarts und dann über die Linie. Der Moderator des syrischen Fernsehens brach in frenetischen Jubel aus. »Toooooooooor«, schrie er ins Mikrofon: »Toooooooooor für das Nationalteam« - während sich syrische Fußballfans in aller Welt vor Freude in die Arme fielen.

Mit dem Ausgleich zum 2:2 kurz vor Abpfiff im Teheraner Asadi-Stadion gegen die bereits qualifizierten Iraner bewahrte sich Syriens Nationalmannschaft eine gute Chance auf die Weltmeisterschafts-Endrunde in Russland. Es wäre die erste WM-Teilnahme in der Geschichte des kriegsgeplagten Landes. In zwei Ausscheidungsspielen treffen die »Kasiun-Adler« - benannt nach einem Gebirgszug im Zentrum Syriens - jetzt auf Australien.

Allein dass die Elf des Bürgerkriegslandes es so weit geschafft hat, ist eine Sensation, die viele Syrer kaum fassen können. In der WM-Geschichte schaffte es das Team bislang nur einmal in die Nähe einer Weltmeisterschaft - bei der WM-Qualifikation für Mexiko 1986 verpasste Syrien die Endrundenteilnahme knapp.

»Ich freue mich sehr«, schwärmte der Sportmoderator Masen al-Hindi. »Nach dem Ausgleich bin ich in Tränen ausgebrochen.« Auf Syriens Straßen feierten die Fans mit Fahnen und Hupkonzerten. Und das Team sang nach dem Spiel tanzend in der Kabine: »Wir haben die Iraner zerrissen.«

An einen regulären Spielbetrieb im Land ist seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 nicht mehr zu denken. Wegen der Gewalt muss die Nationalelf ihre Heimspiele in Malaysia austragen, vor Geisterkulissen rund 7500 Kilometer von der Heimat entfernt. Die besten Spieler verdienen ihr Geld im Ausland, viele in den reichen Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait.

Als reichte all das nicht aus, um diesen Erfolg zu einer Sensationsgeschichte zu machen, erzielte ausgerechnet Omar al-Soma den Ausgleich kurz vor Schluss. Der 28-Jährige gilt als einer der besten Stürmer Asiens und damit als Topstar seines Landes, ein Idol für viele Syrer. Nach dem Gewinn der Westasienmeisterschaft in Kuwait 2012 hielt Al-Soma aber auf dem Spielfeld die Fahne der Aufständischen in die Höhe - ein Affront gegen die Regierung, die auch den syrischen Fußball kontrolliert. Fünf Jahre lang trat er nicht mehr für Syrien an (nd vom 2.9.), bis er vor Kurzem überraschend zurückkehrte. Beide Seiten wollten sich wohl die einmalige Chance auf eine Teilnahme an der WM nicht nehmen lassen.

Dennoch bleibt das Land nach mehr als sechs Jahren Bürgerkrieg zerrissen. Das gilt auch für die Nationalmannschaft - selbst wenn Sportmoderator Al-Hindi glaubt, dass das Team Unterstützer und Gegner von Präsident Baschar al-Assad zusammenbringt: »Das Match beweist, dass Fußball ein Spiel ist, das die Menschen vereint und nicht trennt.«

Davon wollen viele Anhänger der Opposition nichts wissen. Sie sehen in der Nationalelf einen Repräsentanten der verhassten Regierung. »Für mich sind die Spieler potenzielle Soldaten«, sagt Dschamal, ein 45-Jähriger aus der von Rebellen kontrollierten Stadt Al-Bab im Norden Syriens. Einige scherzten, die Spieler Irans - im Bürgerkrieg ein enger Verbündeter der syrischen Regierung - hätten den Ausgleich absichtlich kassiert.

Sollte sich Syrien gegen Australien durchsetzen, könnte als weitere Pointe erneut ein politisch aufgeladenes Spiel anstehen. Denn der Sieger der beiden Ausscheidungsspiele muss gegen den Vierten aus Nord- und Mittelamerika antreten. Heißer Kandidat für diesen Platz: die USA, die im Bürgerkrieg lange die Rebellen unterstützt haben. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal