Sehschwaches rechtes Auge

Hessens Verfassungsschutz stellt Jahresbericht vor

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass Hessens CDU-Innenminister Peter Beuth und das ihm unterstellte Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sich demonstrativ besorgt über zunehmende rechte Gewalt zeigen und die militante Neonaziszene und sogenannte Reichsbürger ins Visier nehmen, ist nicht alltäglich. Schließlich beklagen Opposition und aufmerksame Beobachter seit Jahren mangelnde Transparenz bei der Aufklärung der Rolle von Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Neonaziterrorbande NSU und der Mordserie, der im April 2006 auch der Kasseler Internetcafébetreiber Halit Yozgat zum Opfer fiel. An Regierungschef Volker Bouffier (CDU) haftet bis heute der Verdacht, dass er als Innenminister die Polizei bei der Aufklärung des Mordes behindert haben könnte.

Bei der Vorstellung des gut 300 Seiten langen Jahresberichts 2016 des LfV in Wiesbaden rückte Behördenleiter Robert Schäfer die Bedrohung durch die militante Neonaziszene in den Vordergrund. So stuft der Bericht die hessischen Ableger der »Reichsbürger« als gefährlich ein. Das Dokument spricht von einer deutlichen Zunahme der Straftaten von Rechtsextremen auf 799. Die Zahl der gewaltbereiten Personen in der rechten Szene sei von 400 auf 600 gestiegen. Erstmals erwähnt der Bericht die gewaltbereite rechte Neonaziplattform »Antikapitalistisches Kollektiv« (AKK).

LfV und Innenminister seien »auf dem rechten Auge weiterhin sehschwach«, monierte der Abgeordnete Hermann Schaus (LINKE). Das AKK werde seit Jahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz observiert. Seine Nachfrage im Zusammenhang mit Übergriffen im AKK-Umfeld sei unbeantwortet geblieben. Die Landesregierung habe die Reichsbürger lange unterschätzt, so die SPD-Abgeordnete Nancy Faeser. Sie bedauerte wie Schaus, dass die AfD für LfV und Landesregierung kein Thema sei. Schließlich bestünden unleugbare Verbindungen zwischen AfD und rechtsextremer Szene. Schaus verwies auf Berichte über hessische AfD-Mitglieder, die eine Gründung von Wehrsportgruppen betrieben, Mordaufrufe verbreiteten und die Kooperation mit Identitärer Bewegung, Reichsbürgern und Neonazis förderten. »Die AfD bietet alles, was eine offene und demokratische Gesellschaft zutiefst in Besorgnis versetzen müsste«, so Schaus.

Dass die Hessen-CDU trotz verbalen Stirnrunzelns über Reichsbürger und AKK mit ihrer fragwürdigen Gleichsetzung von Rechts- und »Linksextremismus« sich treu geblieben ist, zeigen Passagen im Bericht über Strömungen in der Linkspartei und den parteinahen Jugendverband Linksjugend [’solid]. So werden als Nachweis eines »offenen Linksextremismus« des Jugendverbandes nicht nur das Einladungsblatt zu einem marxistischen Lesekreis und die Zielsetzung der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft herangeführt. Besonders gefährlich erscheint den Schlapphüten des LfV offenbar die Teilnahme der Linksjugend an Protesten gegen eine von konservativen und christlich-fundamentalistischen Kreisen vor Hessens Kulturministerium organisierte »Demo für alle« letzten Herbst. Redner riefen die CDU-Basis zur Rebellion gegen Lehrpläne zur Sexualkunde auf, nach denen auch Wissen über »unterschiedliche sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten« vermittelt werden soll. Neben der Linksjugend protestierten Sozialverbände, Gewerkschaften, SPD, Grüne und der CDU-interne Zusammenschluss »Lesben und Schwule in der Union« gegen die religiösen Fanatiker und verteidigten die Lehrpläne von CDU-Minister Alexander Lotz. Das ist offenbar der Aufmerksamkeit der »Verfassungsschützer« entgangen.

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