Augen auf bei der Trainerwahl!

Christoph Ruf findet es peinlich, dass Uli Hoeneß seinem Ex-Trainer nach dessen Entlassung noch Dreck hinterherwirft

Nach sechs Spieltagen den Trainer zu schassen, erscheint rekordverdächtig. Vor allem da beim Hamburger SV, dem Verein, dem man eine so frühzeitige Korrektur der eigenen Personalpolitik am ehesten zutrauen würde, Markus Gisdol noch im Amt ist. Im Gegensatz zu Andries Jonker, den der VfL Wolfsburg schon nach dem vierten Spieltag feuerte. Früh? Das ist im Fußball ein relativer Begriff. In der zweiten Liga haben schon fünf Vereine ihre Trainer rausgeschmissen, in der dritten trennten sich die Sportfreunde Lotte gar noch früher von ihrem Trainer: vor dem ersten Spieltag! Und das nach einer Gesamtarbeitszeit, die sich eher in Stunden als in kompletten Tagen bemaß.

Vor diesem Hintergrund ist es also doch gar nicht so außergewöhnlich, dass sich der ruhmreiche FC Bayern München schon von Carlo Ancelotti getrennt hat. Ungewöhnlich waren allerdings die Begleitumstände. Denn wer las, wie sich Uli Hoeneß nach dessen Rauswurf öffentlich über Ancelotti ausließ, hätte meinen können, dass der gut erzogene Italiener goldene Löffel geklaut hatte - mindestens. Vom »Feind im eigenen Bett« sprach Hoeneß. Und erweckte insgesamt den Eindruck, als habe da ein trampeliger Nichtsnutz eine aus reinsten Preziosen bestehende Edel-Equipe systematisch und aus purer Bosheit dahingemeuchelt. Ein solches Verhalten und erst recht ein solches Vokabular widerspricht nun so ziemlich allen Gepflogenheiten bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, ist aber offenbar durch »mia san mia« abgedeckt.

Merkwürdiger ist etwas anderes: das völlige Fehlen jeglicher Form von Selbstkritik. Selbst wenn man in Hoeneß’ denkbar schrägem Bild bleiben würde, wäre ja derjenige selbst schuld, dem morgens mit einem »Feind« im Bett ein böses Erwachen beschert wird. Denn er selbst war es ja, der den Feind am Vorabend mit dorthin genommen hat. Auch die Bayern hätten also wissen können, welche Art von Trainer sie bekommen, wenn sie sich für Ancelotti entscheiden. Keinen Fußballpedanten wie Thomas Tuchel oder Pep Guardiola, in deren Betten man schon deshalb niemals einen Feind finden wird, weil dort bereits die Taktiktafel auf dem Kissen liegt.

Dass der FC Bayern in dieser Woche in Paris, beim letzten Spiel unter Ancelottis Ägide, so jämmerlich agierte, mag der falschen Taktik und/oder dem falschen Personal geschuldet gewesen sein, vielleicht aber auch einem zu Grunde gerichteten Binnenklima in der Mannschaft. Spieler wie Jerome Boateng, Arjen Robben, Thomas Müller oder Franck Ribéry sollen zu den Gegnern des Trainers gezählt haben, nicht zuletzt, weil zumindest Müller und Ribéry unter dem Italiener einen herben Statusverlust erlitten hatten.

Doch wenn diese Spieler jetzt als Kronzeugen für die angebliche Ahnungslosigkeit Ancelottis herangeführt werden, sollte man doch ein wenig hellhörig werden. Denn es war ja genau die Aufgabe, mit der Ancelotti bei seiner Verpflichtung im Sommer 2016 betraut worden war, einen Generationenwechsel im Kader der Bayern einzuleiten. Er sollte Spieler, die offenbar auch nach Ansicht der Münchener Bosse ihren Zenit überschritten haben, langsam durch neue, jüngere, bessere ersetzen. Diesen Schritt, der tatsächlich überfällig ist, wird nun der Nachfolger Ancelottis einleiten müssen. Und da Korrekturen an diesem Kader im Winter wohl nur noch bedingt möglich sind, wird das wohl erst im kommenden Sommer passieren können. Dann allerdings sicher mit einem Trainer, der wieder mehr mit Guardiola und Tuchel vergleichbar sein wird als mit Ancelotti.

Besagter Nachfolger ist allerdings gut beraten, sich in sein Arbeitspapier eine höhere Abfindung für den Fall hineinschreiben zu lassen, dass auch ihm das geschieht, was Ancelotti widerfahren ist und was zivilrechtlich »üble Nachrede« heißt.

Den Bayern steht derweil eine Saison bevor, um die sie die meisten beneiden werden und die dennoch ganz weit von dem entfernt ist, was sich der Klub vor jeder Saison wieder aufs Neue vornimmt. Die Bayern werden wieder Meister werden - trotz einer Dortmunder Mannschaft, deren Spiele, wenn sie sich nicht gerade in Augsburg zu einem Sieg würgen, viel mehr Spaß machen. Doch die Bayern werden international wieder nicht viel reißen. Das liegt zu einem kleinen Teil an einem Trainer, der nicht das Optimum aus der Mannschaft herausgeholt hat. Und zu einem großen Teil daran, dass auch dieses Optimum bei weitem nicht für den Gewinn der Champions League reicht.

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