Friedrich Merz und die gemeinsame Kraftanstrengung

Andreas Koristka möchte Vorbild bei der Kanzlerinitiative »Mehr arbeiten!« sein

Friedrich Merz bei einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Hier hebt er eigenhändig einen Liter Bier an.
Friedrich Merz bei einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Hier hebt er eigenhändig einen Liter Bier an.

Neulich musste ich meine älteste Tochter etwas eher vom Unterricht abholen, weil sie sich zu den wenigen glücklichen gesetzlich versicherten Menschen zählen darf, die einen Termin bei einem Hautarzt zugeteilt bekamen. Als ich den Schulhof in der großen Hofpause betrat, war ich entsetzt: Hunderte Schülerinnen und Schüler rannten durcheinander, spielten Fußball, Fangen oder Kreischen.

Offensichtlich dachte keiner dieser jungen Menschen in dem Moment an die schleppende Konjunktur. Dabei dürfte man von Kindern, die älter als sechs Jahre sind, durchaus erwarten, dass sie in 30 Minuten ein paar Hundert Kugelschreiber zusammenschrauben können. Mit dem Geld, das sie dabei verdienen, könnten durchaus einige Reparaturarbeiten an den Schultoiletten bezahlt werden.

Die Leidenschaft für harte ehrliche Arbeit ist den Deutschen abhandengekommen. Wir sind zu einem Land geworden, in dem Kindern das Arbeiten in Steinbrüchen (auch in den Ferien) sogar gesetzlich verboten ist. Stattdessen gibt es dekadente Annehmlichkeiten wie freie Wochenenden, jeden Tag Feierabend und kostenlose Frischluft auf den Baustellen.

Andreas Koristka
Autorenfoto von Andreas Koristka am Donnerstag, den 10. Oktober ...

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Das ist alles schön und gut, aber es bringt unser Land und BlackRock nicht voran. Friedrich Merz hat es völlig korrekt ausgedrückt: »Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.« Deshalb sprach er in seiner Regierungserklärung von einer »gemeinsamen Kraftanstrengung«, die jetzt nötig sei.

Wir müssen die Pobacken zusammenkneifen und ganz doll wollen. Denn Friedrich Merz kann unser Land nicht alleine nach vorne bumsen. Jeder muss sich effektiv an die eigene Nase fassen. Die Botschaft des Kanzlers geht an mich, an dich und an die Putzkraft des Sanifair-WC am Bahnhof Berlin-Alexanderplatz. Gerade bei letzterer ist in puncto Arbeitsmoral noch viel Luft nach oben. Wie soll Sanifair seinen Ansprüchen von »kompromissloser Sauberkeit und einer Rundum-Wohlfühlatmosphäre« gerecht werden, wenn dort der Kot an der Klobrille klebt?

Nicht nur den Sanifair-Putzkräften muss wieder klar werden, dass sich Leistung für sie lohnt. Wenn die Leute gerne zu Sanifair gehen, dann floriert das Unternehmen und die Putzkräfte werden mit einem fürstlichen Gehalt bedacht. So funktioniert das im Kapitalismus! Wenn man immer schön fleißig Toilettenpapier nachlegt, zählt man irgendwann zum gehobenen Mittelstand, kann mit seinem kleinen Privatflugzeug durch die Gegend fliegen und die Hochzeitsparty von Christian Lindner auf Sylt besuchen.

Alle müssen anpacken! Ich möchte mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb habe ich an der Schule meiner Tochter eine Kugelschreiber-Manufaktur-AG gegründet. Die Kinder können dort lernen, wie man die deutsche Industrie gegen die Konkurrenz aus Billiglohnländern schützt. Die Einnahmen, die dabei generiert werden, werden aber nicht für die Schultoilette genutzt. Die übernimmt jetzt Sanifair. Aber ich werde das Geld im Sinne der Schülerinnen und Schüler ausgeben. Das nennt man übrigens Eigeninitiative. Friedrich Merz wäre stolz auf mich.

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