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2. Bundesliga: Auf den 1. FC Magdeburg »schaut ganz Deutschland«
Mit einem mutigen Trainer und großer Unterstützung der Fans spielen die Fußballer des FCM um den Aufstieg in die Bundesliga
Vielleicht genügt eine Anekdote, um zu erklären, warum sich mit dem 1. FC Magdeburg gerade ein besonderer Verein anschickt, ans Tor zur ersten Liga zu klopfen. Drei Spiele hat der FCM in der 2. Bundesliga noch vor sich. Drei Spiele, in denen sich gegen Preußen Münster, den SC Paderborn und Fortuna Düsseldorf entscheidet, ob man auf Relegationsplatz drei bleibt oder vielleicht sogar direkt aufsteigt. Oder ob die Magdeburger Fußballer einfach nur eine überraschend starke Saison gespielt haben. Andere Vereine igeln sich in solch heißen Phasen ein, ordnen Geheimtrainings an, sperren die Presse aus und setzen die Spieler auf makrobiotische Ernährung. Anders die Magdeburger, die am Mittwochabend einen Fanabend abhielten – und dort nicht irgendwelche Tribünenhocker aus dem Verein hinbeorderten, sondern den Marketingleiter, den Cheftrainer und den Sportlichen Leiter.
Bedingungsloser Lärm
So bemerkenswert das ist, bis zur Heiligsprechung wird es auch beim neben den Handballern des SC Magdeburg wohl prominentesten Exponenten der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt noch eine Weile dauern. Denn natürlich liegt die sprichwörtliche Fan-Nähe des Vereins auch im eigenen Interesse. Der FCM mag sportlich (nicht erst seit gestern) bemerkenswerte Arbeit leisten, überregional wahrgenommen wird er vor allem durch die Wucht seiner Fanszene. Was der »Block U« bei Heimspielen auf die Beine stellt, ist ein Fall für die Lärmschutzverordnung. Auswärts wird es schon mal fünfstellig, gegen Hertha BSC ins Berliner Olympiastadion pilgerten am vergangenen Wochenende 15 000 Fans. »Mich begeistert die bedingungslose Unterstützung unserer Fans, ob bei Heimspielen oder auswärts«, hat dann Trainer Christian Titz beim Fan-Abend auch gesagt. »Egal, ob das Spiel erfolgreich war oder nicht. Deshalb sage ich bedingungslos.«
Der in Mannheim geborene Übungsleiter amtiert seit Februar 2021 in Magdeburg – im Vergleichszeitraum hat 250 Kilometer elbaufwärts der Aufstiegskonkurrent Hamburger SV vier Chef- und zwei Interimstrainer verschlissen. Kontinuität ist also einer der Gründe, warum der an den wirtschaftlichen Parametern gemessene kleine FCM heuer derart beeindruckend auftritt.
Wichtigtuer-Vokabeln
Darüberhinaus verkörpert Titz einen Trainertypus, dessen Fußball so außergewöhnlich ist, dass man seinen Spielern Zeit geben muss, ihn zu verinnerlichen. In einer Liga, in der Konterfußball, heute schönfärberisch mit Wichtigtuer-Vokabeln wie »Gegenpressing« oder »Umschaltspiel« bemäntelt, dominiert, wollen Titz-Mannschaften den Ball. Magdeburg baut sauber von hinten nach vorne auf. Und der Torwart, in diesem Fall Dominik Reimann, ist dabei tatsächlich der erste Aufbauspieler. Und wenn der Ball mal verlorengeht, will der FCM ihn sofort wiederhaben – hohes Pressing ist dann das Mittel der Wahl.
An der Position des Torwarts lässt sich derweil auch nachweisen, dass sich Titz, der schon immer ein bemerkenswerter Trainer war, in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. In den nicht einmal acht Monaten, die ihm 2018 als Cheftrainer beim Hamburger SV vergönnt waren, ließ er Julian Pollersbeck teils bis in den Mittelkreis hinein den Spieleröffner geben. Das ging, auch aus individuellen Gründen, ein paar Mal mächtig schief.
Lehren gezogen
Damals ließen auch einige Trainerkollegen durchblicken, dass der Kollege Titz zwar ein fachlich hervorragender Trainer sei, er aber zu stur an seiner enorm riskanten Spielweise festhalte. Heute wählt der 54-jährige Mannheimer eine pragmatischere Herangehensweise: Die letzte Abwehrreihe steht einige Meter tiefer, der Torwart sowieso. »Der Spielstil von Christian Titz wird mittlerweile ein Stück weit anders gesehen. Wir haben die Lehren aus der Vergangenheit gezogen und haben uns gefestigt«, sagt Sportchef Otmar Schork, der seit November 2020 beim FCM ist.
An den großen Stärken des Titz-Fußballs hat sich dadurch nichts geändert: Viele der 59 Magdeburger Tore – 13 mehr als der Tabellenführer 1. FC Köln zustande gekriegt hat – sind das Produkt schöner Kombinationen. Und wenn das Magdeburger Publikum auch in dieser Saison, in der bislang nur vier Heimsiege gelangen, Nerven und gute Laune behält, dann liegt das vor allem daran, dass es oft trotzdem 90 Minuten lang attraktiven Fußball zu sehen bekam. Was aber wiederum nichts daran ändert, dass wohl noch nie in der Geschichte der zweiten Liga eine Mannschaft zu diesem Zeitpunkt der Saison auf Platz drei lag, die in der Heimtabelle einen abstiegsgefährdeten 15. Platz einnimmt.
An diesem Freitag kann der FCM im Flutlichtspiel gegen Preußen Münster nun einen großen Schritt in Richtung Bundesliga machen. Die Chancen stehen selbst für die Magdeburger Heim-Dilettanten gut. Nicht nur, weil es gegen den Vorletzten geht. Sondern weil Sportchef Schork beim Fanabend in aller Bescheidenheit die Branchensicht korrekt referiert hat: »Wir sind sportlich auf einem richtig guten Weg und haben ein hohes Niveau, auf das mittlerweile ganz Deutschland schaut.«
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