Wenn der Finanzzyklus zuschlägt

Das stärkere Auf und Ab bei Häuserpreisen und Privatschulden kann Rezessionen verschärfen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Still und heimlich hat die EU eines ihrer wichtigsten Reformprojekte im Finanzbereich beerdigt: das Trennbankengesetz. Zu große Banken sollten gezwungen werden, Investment- und Kreditgeschäft strikt voneinander zu trennen, um ihre Risiken besser in den Griff zu kriegen. Die Idee der Trennbank galt vielen Politikern als »die« Lehre aus der Finanzkrise. Nun war die Beerdigung des Vorhabens der EU-Kommission vor wenigen Tagen lediglich eine kurze Notiz im umfangreichen Arbeitsprogramm für 2018 wert. Eine konservativ-liberale Parlamentsmehrheit hatte das Vorhaben Brüssels zu Fall gebracht.

Dabei hatte die große Krise gezeigt, wie schnell und radikal einige tausend Hauskredite, die Bankkunden in den USA nicht mehr tilgen, Finanzbranche und Wirtschaft in weiten Teilen der Welt ins Stolpern bringt. Nur weil Regierungen und Notenbanken anders als beim Crash in den 1930er Jahren den Geldhahn aufdrehten, gelang es, Schlimmeres zu verhüten.

Was nicht gelang, war allerdings, den Finanzzyklus zu beerdigen. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise hatten viele Politiker und Ökonomen dessen Existenz geleugnet. Sie glaubten, infolge der Liberalisierung und Privatisierung würde der entfesselte Markt fortan für einen krisenfreien Kapitalismus sorgen. 2007 wurden die Wirtschaftsliberalen eines Besseren belehrt. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht nur einen Konjunkturzyklus, also ein Auf und Ab des Bruttoinlandsproduktes (BIP), gibt, sondern auch regelmäßige, mehr oder weniger große Schwankungen an den Finanzmärkten. Der Finanzzyklus sei »enorm machtvoll«, schreiben die Analysten der Commerzbank. Wie 2007 könne er demnächst in spekulative Blasen münden, deren Platzen ganze Volkswirtschaften ins Elend stürzen.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), ein Zusammenschluss der Zentralbanken, beschreibt den Finanzzyklus mit zwei Kennziffern. Das erste sind die Häuserpreise, die den größten Anteil am Vermögen der Bürger haben. Bei fallenden Preisen fühlen sie sich ärmer, konsumieren weniger und dämpfen so die Konjunktur. Das zweite sind die Schulden der Unternehmen (ohne Banken) und Privathaushalte. Während seit der Eurokrise alle auf das Staatsdefizit schauen, sind fast unbemerkt in vielen Ländern die privaten Schulden rasant angestiegen. In Deutschland betragen sie etwa 100 Prozent des BIP, in den USA 150 und in den Niederlanden über 200 Prozent. Verschulden sich die Privaten zu stark, kann eine Volkswirtschaft in Schieflage geraten. Denn überschuldete Unternehmen oder Privathaushalte sind gezwungen, wie 2007 infolge der Finanzkrise ihre Ausgaben schlagartig zu drosseln.

Während der Konjunkturzyklus in den Industrieländern eine durchschnittliche Länge von fünf Jahren hat, sind es beim Auf und Ab von Häuserpreisen und Schulden 16 Jahre. Dabei sind die Schwankungen seit den 1980er Jahren auch stärker geworden. Seit der Finanzkrise hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass dies eine Folge der Deregulierung des Finanzsektors ist.

Mithilfe des Finanzzyklus wird versucht, Finanzkrisen zu erklären. Die Volkswirte der BIZ zeigen das allgemein für die vergangenen 50 Jahre und detailliert für 85 Länder seit 1990. Stiegen Häuserpreise und Schulden stark, erreichte der Zyklus seinen Höhepunkt: In vier von fünf Fällen markierte das den Beginn einer Finanzkrise.

Der Finanzzyklus beeinflusst zudem die Konjunktur. Wer Wirtschaftskrisen vermeiden will, sollte also die »Märkte« im Auge behalten. So sind Rezessionen doppelt so tief, wenn sie mit einem einbrechenden Finanzzyklus einhergehen. Der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Herbst 2008 folgte eine scharfe Rezession der Weltwirtschaft, die an den Grundfesten zumindest der US-Gesellschaft rüttelte. Historiker könnten dereinst die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten in einem Atemzug mit dem Finanzzyklus nennen.

Eine akute Bedrohung gibt es aktuell (noch) nicht. Im Euroraum steigt der Finanzzyklus seit 2015 wieder - es bleiben Politik und Notenbanken also noch Zeit, um vorzubeugen. Gefordert sind zunächst die Aufseher, die den Banken schon seit einiger Zeit mehr Eigenkapital vorschreiben, um ihren Risikoappetit zu drosseln. Sie könnten aber zusätzlich den Banken vorschreiben, Hypothekarkredite nur dann zu vergeben, wenn die Schulden der Hauskäufer in einem vertretbaren Verhältnis zu ihren Einkommen stehen.

Doch noch immer gibt es keine abschließende, weltweit geltende Bankenregulierung. »Basel III« hängt weiter in der Luft, weil EU und USA nach Wettbewerbsvorteilen für ihre heimischen Geldhäuser suchen und China sowie Japan im Blick haben. Diese »trilaterale« Konkurrenz dürfte das Aus für das EU-Trennbankengesetz befördert haben.

Auch die Notenbanker sind gefordert. So könnten höhere Leitzinsen verhindern helfen, dass Investoren wie Versicherungen oder Pensionsfonds auf der Jagd nach hohen Renditen auf risikoreichere Anlagen wie Immobilien oder Aktien ausweichen und deren Preise in gefährliche Höhen treiben. Und sie könnten Kredite verteuern, so dass es sich für spekulative Anleger weniger lohnt, Wertpapiere oder Immobilien auf Pump zu kaufen. Eine angemessene Geldpolitik wie auch strengere Regulierungsmaßnahmen könnten also gefährliche Übertreibungen im Finanzzyklus bremsen.

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