Mehr als 100 Kilometer Schulweg

Sachsen-Anhalt: Das Netz für die berufliche Bildung im Land steht in der Kritik

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Magdeburg. Mit Blick auf den Mangel an Auszubildenden in Sachsen-Anhalt fordern Wirtschaftsvertreter eine rasche Verbesserung der beruflichen Bildung. »Die akademische und die berufliche Bildung sollten gleich behandelt werden«, sagte der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) Magdeburg, Burghard Grupe. Die Wege vom Ausbildungsbetrieb zur Berufsschule müssten kürzer und die finanzielle Unterstützung bei den Fahrtkosten für Lehrlinge höher werden. Dafür sei das aktuelle Schulnetz dringend zu analysieren und anzupassen.

Derzeit würden Azubis »quer durchs Land gescheucht«, kritisierte auch der Präsident der Industrie- und Handelskammer Magdeburg, Klaus Olbricht, jüngst. Das bedeute viel Zeit und Aufwand. Und es fehle an einem Konzept. Ein Problem sehen die Kammern im Berufsschulnetz und den Standorten, an denen bestimmte Ausbildungsberufe gelehrt werden. »Ein angehender Werkzeugmechaniker aus Sangerhausen müsste zur Berufsschule ins rund 100 Kilometer entfernte Bitterfeld fahren«, nannte Björn Bösse von der IHK Halle-Dessau ein Beispiel. Ohne Auto dauere das mit Bus und Bahn für eine Strecke mehr als drei Stunden.

Fleischerlehrlinge aus dem Norden Sachsen-Anhalts hätten laut Grupe bis zu 200 Kilometer zurückzulegen, um zur Berufsschule nach Weißenfels zu kommen. Das Land müsse darüber nachdenken, ob es Berufsschulstandorte auch dann aufrechterhalte, wenn dies angesichts kleiner Klassen nicht so wirtschaftlich sei. »Wenn wir nicht wollen, dass ländliche Regionen weiter ausbluten, dann muss etwas passieren.«

Das CDU-geführte Bildungsministerium in Magdeburg reagierte am Montag auf die Kritik mit dem Hinweis, dass das Berufsschulnetz derzeit auf dem Prüfstand stehe. Die Analyse laufe und das Bildungsministerium sei dazu im Gespräch mit Schulen, Trägern und Wirtschaftsvertretern, sagte sein Sprecher Stefan Thurmann. Ergebnisse sollen im März 2018 vorliegen.

Es werde geprüft, ob die Fachklassen für die verschiedenen Berufe zum Bedarf vor Ort passten oder ob Veränderungen nötig seien, erläuterte Thurmann. Ziel sei, das regionalisierte Berufsschulnetz mit seinen 25 Standorten zu erhalten. Auch der effiziente Einsatz von Lehrkräften müsse berücksichtigt werden. Das Netz werde regelmäßig auf nötigen Veränderungsbedarf hin analysiert, hieß es. Derzeit gebe es 61 Landesfachklassen.

Die Berufswahl junger Menschen dürfe nicht von den Anreise- und Unterkunftskosten für die Berufsschule abhängig gemacht werden, stellte Handwerkskammer-Geschäftsführer Grupe klar. Daher müssten die derzeitigen Zuschüsse des Landes für Fahrtkosten erhöht werden. »Das kostet Geld, aber das Geld ist da. Im Zweifel sollte man andere Förderprogramme auf ihren Sinn überprüfen - zum Beispiel wenn es ähnliche Angebote vom Land und vom Bund gibt.« Es komme immer wieder vor, dass Jugendliche ihre Ausbildung abbrächen oder gar nicht erst anträten, weil ihnen der Weg zur Berufsschule zu weit sei, berichtete Grupe. Dabei sei das Handwerk dringend auf mehr Fachkräftenachwuchs angewiesen.

Sowohl die Konjunkturumfragen der Handwerkskammern als auch die der Industrie- und Handelskammern ergaben zuletzt, dass der Personalmangel bereits jetzt den Aufschwung im Land dämpft. Der Grund: Unternehmen können nicht alle Aufträge annehmen, weil sie mit den vorhandenen Mitarbeitern an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Zudem bereitet vielen Experten der Blick in die Zukunft Sorge, weil etwa das Durchschnittsalter der Handwerkerschaft vergleichsweise hoch ist und sich in den nächsten Jahren viele Unternehmer und Angestellte in den Ruhestand verabschieden.

Daher ist ein besseres Berufsschulnetz aus Sicht des Magdeburger Handwerkskammerchefs Grupe nur ein Baustein. Die Meistergründungsprämie, die das Land seit einigen Monaten an Handwerksmeister zahlt, die einen Betrieb übernehmen oder gründen, sei ein wichtiger Schritt gewesen. Er sei auch eine wichtige Anerkennung des Unternehmertums. Perspektivisch müsse aber auch darüber nachgedacht werden, die Meisterausbildung kostenlos zu gestalten - ähnlich wie ein akademisches Studium kostenlos sei. dpa/nd

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