Justiz schwächt Friedensprozess

Oberstes Verfassungsgericht in Kolumbien hebelt vereinbarte Übergangsregelungen aus

  • David Graaff, Medellín
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie gilt als Herzstück des kolumbianischen Friedensabkommens: die Übergangsjustiz. In ihrer derzeitigen Version, der lediglich der als wahrscheinlich geltenden Zustimmung des Repräsentantenhauses fehlt, unterscheidet sich die sogenannte Sondergesetzgebung für den Frieden allerdings in zentralen Punkten erheblich von den im Rahmen der Friedensgespräche von Havanna vereinbarten Regelungen. Vier Jahre lang hatten die ehemalige FARC-Guerilla und die kolumbianische Regierung über ein Ende des bewaffneten Konflikts in der kubanischen Hauptstadt verhandelt, bevor es 2016 zur Unterzeichnung kam. Auf Grundlage der Vereinbarungen hatten sich mehr als 5000 FARC-Kämpfer demobilisiert und damit den jahrzehntelangen Konflikt mit nach offiziellen Angaben rund einer Million Todesopfern beendet. In der Sonderjustiz sollen unter anderem Menschenrechtsverbrechen aufgeklärt werden, die Militärs, ehemalige Guerilleros, Paramilitärs und Zivilisten im Rahmen des bewaffneten Konflikts begangen oder mitverantwortet haben. Im Mittelpunkt des Systems steht die Aufklärung und Entschädigung der Opfer. Vorausgesetzt die Angeklagten tragen zur Wahrheitsfindung vor den Sondertribunalen bei und sind geständig, können sie mit einer niedrigen Bestrafung von bis zu acht Jahren Freiheitsentzug rechnen, die sie allerdings nicht in gewöhnlich Gefängnissen absetzen müssen.

Das bei Teilen der Bevölkerung umstrittene Gesetz, das bis Ende des Monats vom Kongress verabschiedet werden muss, um im kommenden Wahljahr 2019 gültig zu sein, ist von rechten Parlamentariern in den seit Monaten andauernden Kongressdebatten und Ausschusssitzungen allerdings zunehmend verwässert worden. Das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen hatte ebenso wie die Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof, Fatou Bensouda, vor der drohenden Straflosigkeit für hohe Militärs und zivile Akteure gewarnt. Rückendeckung hat die rechte Opposition allerdings nun vom Verfassungsgericht bekommen. Zwar entschieden die Richter diese Woche, dass die Sonderjustiz verfassungskonform sei und die ehemaligen FARC-Kämpfer im kommenden Jahr als Kandidaten an den Kongress- und Präsidentschaftswahlen teilnehmen und, wenn auch unter Vorbehalt, öffentliche Ämter bekleiden dürfen. Allerdings, so das Urteil, dürfen Internationale Richter nun anders als in Havanna vereinbart nicht wie geplant an den Sondergerichtsverfahren teilnehmen und gelten die Urteile der Sonderjustiz nicht letztinstanzlich. Zudem, so die Richter, sind zivile Akteure nicht mehr verpflichtet, sich für ihre Beteiligung an den Verbrechen zu verantworten. Ehemalige Minister, Staatsanwälte, Beamte und auch Kongressabgeordnete blieben damit ebenso unantastbar wie Unternehmer oder Privatpersonen, auch wenn entsprechende Aussagen beispielsweise zur Unterstützung und Finanzierung paramilitärischer Gruppen gegen sie vorliegen. Die Zahl solcher Fälle, in denen die reguläre Staatsanwaltschaft in den vergangenen Jahren Ermittlungen eingefordert hat, soll laut der Tageszeitung »El Espectador« bei mehr als 15 000 liegen.

»Das Konzept der Sonderjustiz ist nun ohne Rückgrat. Im engeren Sinne ist es nun eine alleinig für die FARC-Guerilla konzipierte Justiz«, teilten die Ex-Guerilleros am Donnerstag in einer Stellungnahme mit. Ziel der Vereinbarung sei es gewesen, der herrschenden Straflosigkeit in der regulären Justiz entgegenzutreten, um die Rechte der Opfer zu garantieren. »Der Frieden ist nur noch durch massenhafte Mobilisierung auf den Straßen zu retten«, hieß es aus FARC-Kreisen. Offen bleibt, inwieweit die Sonderjustiz hohe Militärs an der Spitze der Befehlskette belangen kann.

Unterdessen legten die Senatoren nach. Eine am frühen Donnerstagmorgen deutscher Zeit verabschiedete Änderung sieht vor, dass bereits zu Richtern der Sonderjustiz ernannte ehemalige Menschenrechtsanwälte ihre Tätigkeit nicht aufnehmen dürfen. Die Änderung, die von zahlreichen linken Politikern und Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde, gilt als Zugeständnis an die Konservative Partei, die Teil der bröckelnden Regierungskoalition von Präsident Juan Manuel Santos ist. Eine kleine liberale Partei hatte sich bereits vor Wochen verabschiedet und sich auf die Seite der rechten Opposition um den umstrittenen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe geschlagen. Ihm und seinen politischen Gefolgsleuten wurden immer wieder enge Beziehungen zu Paramilitärs vorgeworfen.

Bei Twitter schrieb der politische Beobachter Victor Currea Lugo im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen, jene »Kongressabgeordneten, die die Gesetzgebung zur Sonderjustiz mit Straflosigkeit für jene Zivilisten unterschreiben, die den Krieg unterstützt und finanziert haben, seien daran erinnert, dass der Internationale Strafgerichtshof Kolumbien im Blick hat. Beschwert euch nicht wenn ihr vor einem internationalen Tribunal steht. Ende der Durchsage.«

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