Brillante Enthüllung

Walter Heynowski 90

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wahrheit leistet sich groteske Erfindungen. Da heißt ein Deutscher Siegfried Müller. Ein Fetzen Heldenmythos, zusammengenäht mit einem Lappen Durchschnitt: Das ergibt die Uniform, die wird nicht schlechthin getragen, die trägt - durch Zeiten und Geographien. Kleid des Allzeitschlächters unter wechselnden Befehlsgebern. Immer Nibelungen, immer Müller - im Gewöhnlichsten wartet Barbarei auf ihre Stunde. Kongo-Müller etwa. Zynischer, zähnefletschender Horrorheld des Dokfilms »Der lachende Mann.« Eine Sensation damals, 1966.

Die Befragung des Dauer-Söldners, unter Zuhilfenahme von viel Alkohol und unter Geheimhaltung der Tatsache, dass die Befrager aus der DDR kamen: Der Film begründete den Weltruhm von Walter Heynowski, Gerhard Scheumann und Kameramann Peter Hellmich. Alles Unverwechselbare des Studios H & S war verdichtet angelegt: die Besonderheit eines Typs oder eines Fakts, verknüpft mit historischer Tiefenbohrung und aktueller Polemik. Spürsinnig, kämpferisch scharf.

Walter Heynowski, Jahrgang 1927, wird am heutigen Montag 90, Gerhard Scheumann starb 1998. Heynowski gab seinem ersten Band Erinnerungen (»Der Film meines Lebens«) den Untertitel »Zerschossene Jugend«. Bitterste Trefflichkeit. Der Ingolstädter war nach dem Krieg, 22-jährig, Chefredakteur der Satirezeitschrift »Frischer Wind«, später »Eulenspiegel«, beim Deutschen Fernsehfunk Programmdirektor.

H & S: über siebzig Filme. Brillante Enthüllungskunst. Und Enthüllung - zielt sie denn erfolgreich kernwärts - ist ein Geheimdienst eigenen Rechts. Speziell in drei Richtungen ermittelten Heynowski und Scheumann: Da war der Krieg in Vietnam (»Piloten im Pyjama«), da regten und räkelten sich in der Bundesrepublik alte und neue Nazis (»Kamerad Krüger«), und in Chile putschte der Imperialismus gegen Allende (»Krieg der Mumien«). 1982 wurde die Selbstständigkeit des Studios aufgehoben. Zu viel Eigensinn? Und nach dem Ende der DDR krachte der Stempel hernieder: Agitation, Ideologie! Ja, natürlich: Eindeutigkeit gehört zum Arsenal der Vielfalt. Schwarz-Weiß-Bilder sind eine hochfeine Ästhetik, entsprechendes Können vorausgesetzt und den mutigen Willen, nicht missverstanden werden zu wollen.

Heynowski kannte aus seiner Jugend den Reiz der Irrung, er träumte sich zum Kriegsberichter, nur seine »asiatische Visage« hat ihn wohl bewahrt, als reinrassig, also förderungswert zu gelten. Er ging wissentlich zu den Kommunisten, nach deren staatlichem Ende ist er kein Gewissenswechsler geworden. Einst aus geistiger Not und gerade mal so die Haut gerettet, wurde er keiner, der sich nun ohne Not häutete. Er durchschwieg das alles: Neid, Missgunst, Anwürfe, Niederlage, eigene Bitterkeit auch. Aber er schrieb, bald erscheint sein zweites Buch: »Generation im Abendlicht«. Und er weiß ums Film-Werk, das damals nicht warten konnte, der Wahrheit willen, und das nunmehr warten kann, in Gewissheit einer Zukunft, die wieder nach Wahrheiten hinter den Fassaden fragen wird. Ich höre Whistleblower und denke auch an H & S.

Vorstellung von und Lesung aus Wolfgang Heynowskis Buch »Generation im Abendlicht«: 20. November, 19 Uhr, Karl-Marx-Buchhandlung/Cobblestone Filmproduktion, Karl-Marx-Allee 78, 10243 Berlin. Es liest Wolfgang von Polentz.

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