Nur für eine Partei läuft es

Wolfgang Hübner über das Scheitern von Jamaika, die Selbstverleugnung der Grünen und einen heimlichen Sieger im Hintergrund

Die Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis sind geplatzt, die Regierungsbildung dauert länger als gedacht – vorerst wird Deutschland verwaltet statt regiert. Na und, könnte man sagen, wo ist eigentlich der Unterschied zum bisherigen Zustand der Großen Koalition? Und außerdem: Ohne neue Regierung haben auch unsere Nachbarn Belgien und die Niederlande durchgehalten, ohne dass sie zusammengebrochen wären. Insofern ist es ein bisschen schade, dass der für diesen Montag geplante Besuch des niederländischen Premiers in Berlin abgesagt wurde – er hätte einen kleinen Crashkurs in Sachen Krisenmanagement und erschwerter Verhandlungsführung geben können.

Ein schwarz-gelb-grünes Bündnis fällt nun jedenfalls aus, vorerst zumindest. Und das ist auch besser so. Denn was hätte es gebracht? Dauerstreit, vier Jahre von parteipolitischen Eitelkeiten begleitetes neoliberales Gewürge. Vor allem aber: eine Regierung ohne jede sozialpolitische Ambition. Schlimmer geht‘s kaum. Insofern darf man der FDP und Christian Lindner persönlich danken, dass er die Notbremse gezogen hat, wenn auch aus ganz anderen, egoistischen Motiven. Er denkt schon längst an den Wahlkampf danach.

Die Grünen dagegen waren zu fast allem bereit. Ihre in den Verhandlungen angebotenen Zugeständnisse bei den Themen Umwelt und Flüchtlinge übertrafen alles, was sich die Partei bis vor Kurzem höchstens in düsteren Träumen ausmalen konnte. Wenn diese schier unendlichen Sondierungen eines gebracht haben, dann diese Erkenntnis: Die Grünen-Spitze ist für Schwarz-Grün mehr als bereit. Vor lauter staatspolitischer Verantwortung wäre sie mindestens bis zur Vorhölle gegangen. Wenn die FDP mal nicht mehr stört: Schwarz-Grün kann kommen, irgendwann demnächst.

Insofern stellt sich die Frage, welche politische Alternative sich jenseits des bürgerlichen Jamaika-Blocks überhaupt noch in Machtverhältnisse übersetzen lässt. Rot-Rot-Grün scheint allein als Idee so weit entfernt wie schon lange nicht mehr. Mit wem denn? Mit den Grünen, die sich gerade erst mit der Union und auch mit dem Intimfeind FDP arrangiert hatten? Mit einer SPD, die den eigenen Durchmarsch halluziniert? Die im kürzlich beendeten Wahlkampf von einem Mitte-links-Lager nichts wissen wollte? Eine linke Regierungsoption unter Einschluss der Linkspartei wird in dieser Sozialdemokratie von keiner nennenswerten Kraft angestrebt. Das dürfte sich auch in einem kurzatmigen, allein taktisch geprägten neuen Wahlkampf nicht ändern.

Zwar behaupten jetzt Vertreter dieser und jener Partei, sie müssten eine baldige erneute Bundestagswahl nicht fürchten. Aber das ist öffentlicher Selbstbetrug. Sie haben alle etwas zu verlieren, auch der Hasardeur Christian Lindner, dessen nächtlicher Auftritt wohlvorbereitet und -kalkuliert war. Sicherlich: Das Scheitern von Jamaika ist am Ende womöglich besser als sein Zustandekommen, und eine Wahlwiederholung würde die Demokratie nicht gefährden. Nichts ist dagegen einzuwenden, dass die Bürger einmal mehr zu entscheiden haben. Nur: Die Wahlumfragen, die sich in den Jamaika-Wochen gegenüber der Bundestagswahl vom September kaum verändert haben, können jetzt ins Rutschen geraten. Im Hintergrund wartet die rechtspopulistische AfD, die sich in den letzten Wochen auffällig zurückgehalten hat. Sie musste nichts tun: Mit ihrem unsäglichen Streit über Flüchtlingspolitik und Obergrenze, Familiennachzug und Zuwanderung haben die Jamaika-Unterhändler selbst die Stichworte für das AfD-Publikum geliefert. Zumindest eine Partei gibt es, für die es läuft.

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