Von der Presse hofierter Nazi

Eine Nürnberger Ausstellung entlarvt das Medienversagen im Umgang mit Albert Speer. Von Ralf Hutter

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Vermieden werden soll, durch schädliche Interviewteile ein abträgliches Bild von Herrn Speer zu vermitteln.« Diese vertragliche Zusicherung erhielt Albert Speer, einer der größten NS-Verbrecher, 1969 vom NDR. Dies ist aber nur ein Beispiel für den unkritischen Umgang bundesdeutscher Medien mit Hitlers oberstem Architekten und späteren Rüstungsminister. Bereits im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46 war es jenem gelungen, sich als einerseits reuigen und gutbürgerlichen, andererseits nicht allzu tief verstrickten Ex-Nazi zu inszenieren. Erst als ein Doktorand 1981, kurz vor Speers Tod, auf Dokumente stieß, die dessen Mitverantwortung für Massenmorde belegten, wurde offensichtlich, wie sehr er die Öffentlichkeit genarrt hatte.

Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg listet in einer Ausstellung die vielfältigen verbrecherischen Aktivitäten des hochrangigen Nazis auf und veranschaulicht das Versagen großer Medien. Als Speer in der Nacht zum 1. Oktober 1966, nach 20 Jahren, aus dem Gefängnis entlassen wurde, wartete ein Pressepulk auf ihn. Gegenüber den Medien nahm er »wahlweise die Rolle als Zeitzeuge, unschuldiger Technokrat, Leistungsträger, Widerständler, Unwissender oder Geläuterter« ein. »Stern« und »Spiegel« zahlten generös für Interviews, eine Illustrierte kaufte ihm für eine sechsstellige Summe die Rechte an seinen Memoiren ab, und »Die Welt« hat später 600 000 Mark für Vorabdrucke aus seinen Gefängnistagebüchern angeboten.

Die eingangs zitierte Vereinbarung mit dem NDR schloss Speers Verleger Wolf Jobst Siedler ab. Interviewer war Joachim C. Fest, der spätere Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen«. Fest und Siedler schrieben dann auch an den beiden Memoirenbänden Speers mit und gaben ihm sogar Tipps zur besseren Selbstdarstellung. Seine 1973 erschienene, umstrittene und dennoch verfilmte Hitler-Biografie stützte Fest nicht zuletzt auf Speers Erzählungen. Er »ignorierte zentrale Ergebnisse der Forschung«, heißt es in der Ausstellung über den Historiker.

Medien und Geschichtsforschung waren in den 1960er Jahre stark auf Hitler fokussiert, was dem Entschuldungsbedürfnis von Millionen Deutschen, die Mitläufer oder Mittäter waren, entgegenkam und das Speer bediente. Selbst im Ausland kam er gut an. Seine Memoiren wurden in 20 Sprachen übersetzt, verkauften sich millionenfach. Vom ersten Band werden noch heute jährlich 1000 Stück pro Jahr abgesetzt. »In der angelsächsischen Welt war Speer ein gern gesehener, geradezu hofierter Gast in Zeitungen, Film und Fernsehen«, konstatiert Speer-Biograf Magnus Brechtken vom Münchener Institut für Zeitgeschichte. Durch seinen engen Kontakt zu Presseleuten war Speer »gleichzeitig Nachrichtenproduzent und Nachrichtenkontrolleur«. Alle großen westdeutschen Medien rezensierten Speers Memoiren, dabei habe es selten einen »Abgleich mit Archivmaterial« gegeben. Bekannte Intellektuelle sprachen Speer ihren Respekt aus, sogar der Nazijäger Simon Wiesenthal.

»Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit«, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg; Katalog (Michael-Imhof-Verlag, 88 S., br., 9,80 €).

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