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  • Ausstellung in Wolfsburg

Der Kreis ist reaktionär

»Never Ending Stories«: Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet dem Loop eine große Ausstellung

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon der Eintritt könnte sich in die Länge ziehen. Ewig, sozusagen. Ins Wolfsburger Kunstmuseum. Dort wird gerade unter dem Titel »Never Ending Stories« eine große Schau gezeigt, die den Loop zum Thema hat, die endlose Wiederholung. Der Eingang erfolgt über eine Drehtür. Wenn man sich darin verfängt, dann ist man gleich im Thema. Hinter dieser Tür, auf mehr als 1600 Quadratmetern Ausstellungsfläche, befindet sich eine riesige Ansammlung von Werken, die sich dem Motiv der ewigen Wiederkehr widmen.

Durch insgesamt 26 Räume wird thematisch dekliniert: Unendlichkeit im Film, Unendlichkeit in der Architektur, Wiederholungsschleifen in der Literatur, der Künstler und die Unendlichkeit. Für die einzelnen Themen, die hier verhandelt werden, hat man passende künstlerische Arbeiten gefunden. Es ist nicht überraschend, dass die meisten Werke ausgerechnet auf der Kreisform aufbauen - seien es nun Kugelformen, Rotoren oder Rundläufe in der Architektur.

Der Kreis ist im Grunde eine reaktionäre Form. Die Idee, das Weltgeschehen oder auch nur das individuelle Leben bewegten sich in Kreisläufen, ist es eh. So ist El Lissitzkys berühmtes Bild »Schlagt die Weißen mit dem roten Keil« von 1920, in dem der Kreis mit einem Keil durchbrochen wird, zu verstehen. Das Alte muss nicht so bleiben, das Neue kann kommen. Der Kreis ist gleichzeitig harmonisch und hermetisch. In den Bahnen, die er vorgibt, herrscht Zwang: Jahreszeiten, Arbeitstag, Psychose.

So verwundert der Hinweis auf die Idee der ewigen Wiederholung als religiöses Motiv, den die Ausstellung gleich am Anfang gibt, nur wenig. Man beginnt den Besuch in einem abgedunkelten Raum. In die schwarz angestrichenen Wände wurden beleuchtete Nischen eingelassen. Darin liegen illustrierte religiöse und philosophische Bücher: Buddhismus, Alchemie, Friedrich Nietzsche. Dargestellt sind Planeten in ihren Umlaufbahnen und Drachen oder Schlangen, die sich selbst verschlingen. Später in der Schau wird man einer solchen Schlange in einem YouTube-Video wiederbegegnen: Sadisten haben sie dazu gebracht, in ihren eigenen Schwanz zu beißen. Man sieht das Tier bluten, sich winden und manisch weiterfressen.

Wie direkt religiöse Motive in der modernen Kunst affirmiert werden, bekommt man in Wolfsburg auch zusehen. Ein ganzer Raum widmet sich dem buddhistischen Einfluss auf die Fluxus-Bewegung. Das ist besonders interessant, weil ihren Mitgliedern meist eine anarchische Haltung unterstellt wird. Zu sehen ist ein Klassiker, Nam June Paiks »TV-Buddha« von 1997. Eine Buddha-Statue wird gefilmt, ihr Bild ist auf einem Monitor zu sehen, den die Statue betrachtet. Es scheint zunächst so, als mache sich der südkoreanische Künstler über den stoischen Buddha lustig. Eigentlich aber integriert er moderne Technik in den göttlichen Kreislauf.

Einen ganz anderen Aspekt unendlicher Wiederholung findet man in Andy Warhols Super-Film »Kiss« von 1964. Eine knappe Stunde lang kann man hier einem Paar beim Küssen zusehen. In der Totalen erinnern die beiden sich verschlingenden Münder ein wenig an die kannibalistische Schlange. Was hier jedoch sehr viel wichtiger ist, ist die Verbildlichung des bei Sigmund Freud für Liebe insgesamt verwendeten Begriffs des Ozeanischen, mit dem ein wohliges Aufgehen in der Unendlichkeit, aber auch eine Rückkehr in den Mutterleib gemeint ist.

Direkt erfahrbar soll eine solche Form der Auflösung in Yayoi Kusamas »Infinity Mirrored Room - The Souls of Millions of Light Years Away« von 2013 sein. In einem kleinen Raum entfaltet sich um den Betrachter herum über Lichter und Spiegel die Unendlichkeit des Alls. Der Liebhaber wird hier zum Kosmos und man ahnt, dass jede Form der Auflösung immer auch mit dem Tod verwandt ist.

Vorzuwerfen wäre dem Museum, dass die Kunstwerke oftmals wie zur Illustration bestimmter Aspekte des großen Themas wirken. Vorzuwerfen wäre ihm auch, dass es sich im Grunde um eine Kunstausstellung handelt, die keine Kunstausstellung ist. Eine These - oder besser: eine Haltung - hätte der Schau ebenfalls gut getan.

»Never Ending Stories - Der Loop in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte«, bis zum 16. Februar im Kunstmuseum Wolfsburg, Hollerplatz 1, Wolfsburg

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