Sächsische Sitze

Die Polizei des Freistaats hat ein Problem, das das Innenministerium nicht sieht

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Fünf Tage nach seiner Wahl hat Sachsens neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Montag die Mitglieder seines Kabinetts bekannt gegeben. Innenminister Markus Ulbig (CDU) ist nicht mehr dabei. Es wurde Zeit!

Noch am Freitag hatte Ulbig mal wieder seine »Kompetenz« gezeigt, als er der sächsischen Polizei den ersten von zwei »Survivor R« übergab. Es handelt sich um ein sogenanntes Sonderschutzfahrzeug. Die gepanzerten Fahrzeuge, die man eigentlich eher im Fuhrpark eines Panzergrenadierbataillons vermutet, sind Teil eines Antiterrorpakets des Freistaates und kosten den Steuerzahler zusammen rund drei Millionen Euro. Hersteller ist der Rüstungskonzern Rheinmetall.

Ulbig feierte die Indienststellung: »Ich würde mich freuen, wenn der Rechnungshof uns in einigen Jahren sagt, dass die Fahrzeuge nicht nötig waren, jedoch möchte ich das Mögliche tun, um die Einsatzkräfte der Polizei und die Bevölkerung im Terrorfall optimal zu schützen. Auch wenn ich weiß, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt.«

Der Minister glaubte bestimmt, wahnsinnig originell zu sein bei seiner Ansprache in Leipzig. Dabei hätte er sich das Ungetüm vorher besser genauer angeschaut. Denn das Innere ruft fürchterliche Assoziationen hervor. Auf den Sitzen prangt ein seltsam bekanntes Logo mit Lorbeerkranz. Dazu ist in alter deutscher Frakturschrift zu lesen: »Spezialeinsatzkommando Sachsen«.

Via Twitter wurden am Wochenende entsprechende Fotos geteilt. Andreas Raabe vom Leipziger Stadtmagazin »kreuzer« schrieb sarkastisch: »Hübsches Logo! Fast wie früher ... fehlen nur Adler und Kreuz. Frage mich, wer sich so was ausdenkt heutzutage im Freistaat Sachsen.« Ein anderer Twitter-Teilnehmer fragte: »Hätte nicht gereicht ›Polizei Sachsen‹ und in einer zeitgemäßen Schrift?«

Auch weniger historisch interessierte Mitmenschen können mit drei Internetklicks erkennen, dass die Schrift und das Symbol auch ohne Reichsadler und Hakenkreuz Erinnerungen an das sogenannte Dritte Reich und an die damals unter SS-Führung aufgestellten sogenannten Polizeibataillone hervorrufen können. 1939 gab es 21 solcher Einheiten mit je rund 500 Mann. 13 Bataillone wurden den Wehrmachtsverbänden zugeteilt, die in Polen einmarschierten. Seit den ersten Kriegstagen waren die »Ordnungspolizisten« also dabei. Insbesondere im Osten Europas verübten sie grausamste Verbrechen. Sie waren Werkzeug des von den Nationalsozialisten geplanten und verübten Völkermordes.

Nach dem Krieg verschwieg man in der Bundesrepublik so lange es ging das Treiben der Polizisten in den eroberten Gebieten. Viele von ihnen taten wieder normalen Dienst als »Freund und Helfer«. In der DDR hatte die neue Volkspolizei nichts zu tun mit diesen Nazihorden. So geriet deren Tun weitgehend in Vergessenheit.

Auch in Sachsen. Dort hatte man 1939 in Chemnitz das Polizeibataillon 304 aufgestellt. Bereits im Oktober 1940 wurde es nach Warschau verlegt, wo es Deportationen von Juden in das Warschauer Ghetto durchführte, die Todgeweihten bewachte und sie zu Zügen trieb, die in Vernichtungslager fuhren.

Bei Krakau gab es sogar regelrechte Mordlehrgänge für die sächsischen Polizisten. Man übte die Genickschussmethode. Und beherrschte sie, als der Überfall auf die Sowjetunion begann. Besonders wütete das Bataillon in der Ukraine. Es verübte weitere zahlreiche Massaker an Juden und anderen Zivilisten. Im August und September fand in Starokostjantyniw ein Massaker an Juden statt, dem 500 Menschen zum Opfer fielen. Es folgten Morde bei Winnyzja. Dort wurden über 2000 Juden umgebracht. Im September 1941 brachten Bataillonsangehörige in Ladyschyn 486 Männer, Frauen und Kinder um. Man war dabei, als in Gaisin etwa 4000 Juden ermordet wurden. Ende 1941 töteten Angehörige des Bataillons in Kiew rund 100 sowjetische Kriegsgefangene.

Wer es genauer wissen will, schaue sich die Urteile an, die sowjetische Militärtribunale nach dem Sieg über die Nazis gegen einzelne Angehörige des Bataillons verhängt haben. Auch durch die seriös vorbereiteten späteren Urteile der DDR-Justiz erfährt man einiges über die Blutspur des sächsischen Polizeibataillons 304.

So weit dachte man im sächsischen Innenministerium nicht. Nach den Fotos aus dem Inneren des Polizeipanzers jedoch sah man sich zu einer Stellungnahme veranlasst. Über den Ministeriumsaccount teilte man kurz und bündig mit - gerade so, als habe es nie eine Abnahme des bestellten Panzerwagens gegeben: »Das Fahrzeug wurde mit dieser Bestickung der Sitze vom Hersteller so ausgeliefert. Auch wenn die vom Hersteller gewählte Schriftart nicht dem Markenhandbuch entspricht: Darin ein Indiz für rechte Attitüde zu sehen, weisen wir entschieden zurück.«

Womöglich rächt es sich, dass die Länderpolizeien ebenso wie die Bundespolizei in der Aufarbeitung ihrer Herkunft erklärtermaßen keinen Sinn erkennen können. Mit Traditionen habe man kein Problem, denn man habe keine, erklärte jüngst ein leitender Beamter der Bundespolizei, als die Bundeswehr über ihre Probleme mit der Herkunft stritt. So sieht auch Sachsens Innenministerium, ebenso wie andere verantwortliche Stellen quer durch Deutschland, kein Problem, wenn sich Polizeibeamte mit der AfD oder außerparlamentarisch agierenden Rechtsextremisten gemeinmachen.

Der Vorfall mit den sächsischen Sitzpolstern lenkt aber die Aufmerksamkeit auch auf ein anderes Problem. Mit Hinweis auf die anhaltende islamistische Terrorgefahr rüstet die Polizei insgesamt hoch. Der »Survivor R« - 15 Tonnen schwer und dabei allradgetrieben 100 Kilometer pro Stunde schnell - ist mehr Tank als Auto. Das Fahrzeug ist mit einem Räumschild ausgestattet. Seine Vollpanzerung soll Maschinengewehrfeuer und Panzerminen standhalten. Das geht als Selbstschutz womöglich in Ordnung. Doch wozu hat das Fahrzeug eine Belüftungsanlage gegen atomare, biologische und chemische Kampfstoffe und eine Halterung für ein Maschinengewehr auf dem Dach?

Auch in anderen deutschen Ländern werden ähnliche Fahrzeuge angeschafft. Man rüstet die Polizei - nachdem der Bund für sich und die Länder modernste Wasserwerfer gekauft hat - zwar nur zögernd mit Schutzwesten und Helmen aus, wohl aber gibt man ihnen Sturmgewehre. Seit der Wendezeit-Abrüstung des militärisch organisierten Bundesgrenzschutzes galt so etwas gerade für die Länderpolizeien als »No-Go«. Doch erst im Oktober hat auch Berlin über 400 automatische Waffen, die sonst von militärischen Eliteeinheiten in Großbritannien und den USA genutzt werden, beim Hersteller SIG Sauer bestellt.

Die Forderung nach neuen schweren Systemen für die deutsche Polizei ist älter als die aktuelle Terrorgefahr. Sie bekam Nahrung durch die Unruhen in den USA, die nach rassistisch motivierten Übergriffen von Polizisten ausgebrochen waren. Der G20-Gipfel, der im Sommer in Hamburg stattfand, hat den Eifer der Beschaffer zusätzlich beflügelt.

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