Karlsruhe überprüft Streikverbot für Beamte

Innenminister de Maizière verteidigt Grundsatz persönlich vor dem Bundesverfassungsgericht

  • Lesedauer: 3 Min.

Karlsruhe. Das seit Jahrzehnten geltende Streikverbot für Beamte in Deutschland steht auf dem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelte am Mittwoch darüber, ob beamtete Lehrer streiken dürfen. Dem Verfahren wird auch eine grundsätzliche Bedeutung für das gesamte Berufsbeamtentum zugesprochen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte vor dem Verfassungsgericht das Streikverbot für Beamte.

Aus dem Grundgesetz wird ein generelles Streikverbot für Beamte abgeleitet. Ob es bei einem strikten Verbot bleibt, müssen nun die Verfassungsrichter entscheiden. Ihnen liegen vier Verfassungsbeschwerden von beamteten Lehrern aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vor. Gegen sie wurde disziplinarrechtlich vorgegangen, weil sie sich an Protestveranstaltungen oder Streiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beteiligten (»nd« berichtete).

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hob zu Beginn der Verhandlung hervor, dass von dem Verfahren eine »erhebliche Breitenwirkung« ausgehe. »Es wäre vielleicht übertrieben, dass im vorliegenden Verfahren über die Zukunft des Berufsbeamtentum entschieden wird«, sagte Voßkuhle. Die Entscheidung habe aber sicherlich erhebliche Bedeutung. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Die Gegner des Streikverbots argumentieren, dass die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit ein Streikrecht jedenfalls für beamtete Lehrer gewährleiste. Sie berufen sich aber vor allem auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den Jahren 2008 und 2009 zum Streikrecht türkischer Beamter.

Die Straßburger Richter bezeichneten die Koalitionsfreiheit und damit auch das Streikrecht mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention als ein Menschenrecht, das den Beschäftigten nicht einfach mit Verweis auf einen Beamtenstatus abgesprochen werden könne. Einzige Ausnahme seien Beamte, die wie etwa bei Polizei, im Justizvollzug, Finanzbeamte oder Soldaten hoheitlich tätig sind.

Die Frage, wie die Verfassungsrichter mit diesen europäischen Urteilen umgehen, dürfte mitentscheidend für das Verfahren sein. Auch die mündliche Verhandlung drehte sich stark um die Frage, welche Bedeutung die Menschenrechtskonvention und die EGMR-Urteile für das deutsche Berufsbeamtentum und das Streikrecht haben.

Innenminister de Maizière (CDU) verteidigte in Karlsruhe das Streikverbot für Beamte. Beamte seien in gewisser Weise privilegiert, weil sie beispielsweise nicht kündbar seien. Dem stünden Pflichten gegenüber. »Eine Rosinenpickerei darf es nicht geben«, sagte der Minister. Es handle sich um ein Gesamtsystem, »das ohne Streikverbot seinen Sinn verlöre«. De Maizière zeigte sich zudem überzeugt, dass sich Deutschland mit seinen Regelungen innerhalb der Spielräume der Europäischen Menschenrechtskonvention bewege. Die Bundesregierung sei überzeugt, dass das Streikverbot für alle Beamten verfassungsgemäß sei.

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe fordert dagegen ein Ende des strikten Streikverbots. Den verbeamteten Lehrern solle ein Grundrecht nicht vorenthalten werden, sagte Tepe am Rande des Verfahrens. Das Streikrecht sei wichtig, um auf Augenhöhe kämpfen zu können. AFP/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal