Antwort für Viola

Istrien: Spannende Halbinsel braucht keine Spannungen

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Marke William Shakespeare bleibt vor allem deshalb ein Dauerbrenner, weil sie aktuell wie zeitlos ist. Der Kunstgriff des Meisters: Probleme werden zwar auf den Bühnenbrettern gelöst, auf der Weltbühne indes schwingen sie offen endlos nach. Meist auch die konkreten Fragen, doch es gibt Ausnahmen. In «Was ihr wollt» fragt anfangs die vom Schicksal gezauste junge Dame Viola, Passagierin auf einem Segler, in die Runde: «Welches Land ist dies, ihr Freunde?» - «Illyrien, Fräulein», antwortet der Schiffshauptmann.« - »Was soll ich in Illyrien machen?«, reagiert Viola irritiert und etwas ängstlich.

Heute ist die Antwort klar: Urlaub. Erholen und erkunden, schwimmen und wandern, gut essen und trinken. Man sollte mit allen Sinnen Schätze sammeln: historische, alte wie neue Sitten und Gebräuche der Menschen dort. Vielleicht auch etwas von deren Innerem erfassen, um sich darin gegebenenfalls ein wenig selbst zu reflektieren.

Mit Illyrien war in antiker Zeit die gesamte Adriaküste gemeint. Die rätselhaften Illyrer haben der Nachwelt jedoch außer einigen Mythen kaum etwas hinterlassen. Allerdings gibt es an besagten Küsten eine - und zwar nur diese eine - Landschaft, deren Name sich direkt aus dem Illyrischen herleiten soll: Istrien. Es ist gewissermaßen ein letztes Stückchen Illyrien. Und wenn man auf Violas Spuren wandeln möchte, dürfte man hier richtig sein.

Istrien ist die große Halbinsel in der oberen Adria, die sich heutzutage Italien, Slowenien und Kroatien teilen, und zwar in dem diffizilen Verhältnis von etwa 1:9:90. Istrien ist etwa dreieinhalb mal so groß wie Berlin, man fährt rundherum etwa 500 Straßenkilometer. Am allerbesten beginnt man damit in der Gegend des antiken Tergeste, aus dem im Laufe früher Jahrhunderte der Name Triest wurde.

»Geografisch liegen wir hier in Italien eigentlich noch knapp außerhalb Istriens. Als Grenze gilt der kleine Rio Ospo, der vor den Toren der Stadt in die Adria mündet«, erzählt Daniela Agostini, Soziologin, an der Uni Triest promoviert, nun in der Personalabteilung eines Großunternehmens gelandet. »Doch die paar Kilometer können Jahrhunderte gemeinsamer historischer, kultureller, lange auch politischer Verbundenheit nicht wirklich trennen - oder?«, fragt sie ganz unpatriotisch. »Zudem ist Istrien insgesamt ein mediterranes Kleinod und hat überall fantastische Menschen. Wie zum Beispiel auch meine Großmutter. Die war Slowenin.«

Wir plaudern mit Frau Agostini darüber bei einem Capo Triestino, diesem Mini-Cappuccino in einem Glastässchen, den man genau so auch in den anderen beiden Istrien-Länder trinkt und schätzt. Und wir sitzen in einem Café am Piazza dell’Unità d’Italia, das in einer Wiener Gründerzeitarchitektur steckt, wie es sie rund um die gesamte Halbinsel gibt. Etwa 500 Jahre, bis 1918, war die nämlich habsburgisch-österreichisch. Davor hatten Römer und Byzantiner, Franken und Venezianer das Sagen. Und zwar auch damals schon über eine Bevölkerung mit stark slawischem Anteil.

»Die k.u.k-Zeit war historisch gesehen alles andere als eine schlechte«, meint Agostini. »Ein grenzfreies, riesiges Land mit buntem Völkergemisch. Ein bisschen wie die EU«, lächelt sie verschmitzt. »Doch wir sind ja heute dabei, es noch besser zu machen«, ergänzt sie ein bisschen ironisch. »Leider auch immer wieder mit Rückfällen. Auch hier in Istrien.«

Von denen spüren wir später auf unserer Radtour gen Süden, also nach Slowenien und Kroatien, erst einmal gar nichts. Der Drei-Länder-Radwanderkurs misst von Triest bis ins kroatische Küstenstädtchen Poreč gut 100 Kilometer. Dieser EU-gesponserte »Weg der Gesundheit und Freundschaft« verläuft auf der Trasse der einstigen Schmalspurbahn »Parenzana«. Neben Gesundheit und Freundschaft erfordert übrigens der Radweg selbst zweierlei, nämlich Vorsicht und Toleranz. Er ist noch nicht überall normalradtauglich, mitunter eher crossradpflichtig. Doch letztlich zählt nur das Erlebnis für die Seele: Herrliche Küstenlinien wechseln mit Ortschaften, in denen man auf Bau- und Siedlungsstile von antik-römisch bis sozialistisch-jugoslawisch trifft, nach engen, dunklen Tunnelfahrten öffnen sich abrupt weite Äcker und Weiden, alles ständig umschmeichelt von adriatischem Duft- und Optikmix.

Die Grenzüberquerungen sind kaum spürbar, schließlich radeln wir durch drei EU- und übrigens auch NATO-Länder. Allerdings bezahlt man in Italien und Slowenien längst mit Euro, in Kroatien noch mit Kuna. Das Land strebt jedoch regierungsoffiziell in den Euro- und möglichst noch schneller in den Schengenraum. Angesichts der aktuellen EU-Gesamtlage sind da kleine wie größere Probleme kaum auszuschließen. Und es wachsen selbst dort welche, wo nüchtern betrachtet (fast) keine sind.

Zum Beispiel in der Bucht von Piran. Das Problem schwärt zwar schon seit zwei Jahrzehnten, wird aber von den Medien in Wellen skandalisiert. So wie momentan. Das slowenische Piran liegt am nordöstlichen Eingang der Bucht, das kroatische Savudrija am südwestlichen. Zwischen beiden Ländern gibt es seit langem einen Seerechtsstreit um die rund 30 Quadratkilometer große Meeresfläche (etwa vier Mal so groß wie der Berliner Müggelsee), präziser: um den Verlauf der hoheitlichen Seegrenze über sie. Die Bucht war, dem aktuellen Verlauf des Grenzflusses Dragonja folgend, bisher etwa je zur Hälfte zwischen den beiden Ländern geteilt. Doch unlängst sprach ein Schiedsgericht in Den Haag der slowenischen Seite die Bucht fast in Gänze zu, rechtsgültig ab Beginn 2018. Das hätte viele seerechtliche Folgen - zugunsten Sloweniens, kaum zuungunsten, aber zum Ärger Kroatiens. Von dort hatte man deshalb schon vor zwei Jahren signalisiert, ein solches Urteil nicht zu akzeptieren. Dass es zu Querelen kommt, war also ausgemachte Sache.

»Die Fischer, aber nicht nur sie, sind auf beiden Seiten genervt und verärgert«, beschreibt Darko Popović, der in Piran beim Fischgroßhandel arbeitet, die Stimmung. Wir stehen mit ihm direkt am Madrac-Hafen am Rand der pittoresken Innenstadt, nahe des Giuseppe-Tartini-Platzes, denn dieser Teufelsgeiger und -komponist (1692-1770) ist hier geboren worden. »Im Fernsehen laufen immer wieder die sich gleichenden Bilder von Grenzschutzbooten und Leuten mit ernsten Gesichtern«, erzählt er. Richtige Reibereien gab es zwar bislang aus seiner Sicht nicht, »doch die Gefahr, dass da Nerven auch mal durchgehen, ist nicht wegzureden.« Dass die Medien sich da gleich mit Wonne einklinken, hält er eigentlich für normal, allerdings sei das alles andere als förderlich für den Istrientourismus. »Besonders, wenn es sich um Medien in Deutschland und Österreich handelt«, fügt er hinzu.

Ähnlich klingt es auf der anderen Seite der Bucht im kroatischen Savudrija. Ganz in der Nähe des dortigen Leuchtturms, vor genau 200 Jahren gebaut, schon lange außer Betrieb und nun für Zimmervermietung genutzt, flickt Stjepan Buvinić Netze. »Nein, nicht meine. Ich helfe nur ein bisschen meinem Schwager. Fischen ist nichts für mich«, winkt er lachend ab. Bei der Frage nach der vertrackten Grenzsituation wird er ärgerlich. »Ich kann mich da nur aufregen. Und zwar wegen der Regierungen hier wie dort. Seit Jahren faseln sie, immer nur zum Wohl des Volkes zu wirken, doch mit dem spekulieren sie nur herum«, schimpft er. »Wir dürfen uns da nicht gegeneinander ausspielen lassen.«

Die Strände von Savudrija seien ein Touristenmagnet, sagt Buvinić, »schließlich haben wir hier sogar FKK« (an der Adria eher selten - d.A.). Doch die größte Attraktion ist die Saline von Sečovlje bei Piran auf der slowenischen Seite. Wenn die Seerechtsquerelen nun auch noch über den Straßengrenzübergang schwappen, »können wir uns hier beim Tourismus künftig einiges abschminken«.

Das träfe dann sicher auch auf den Drei-Länder-Radwanderweg zu. Dieser Tage beginnen in Istrien übrigens länderübergreifend die traditionellen Karnevalsumzüge. Bisher sind die, außer einigen üblichen Bierzeltrangeleien, meist friedlich abgelaufen.

»Was soll ich in Illyrien machen?«, fragt das Fräulein Viola bei Shakespeare etwas ratlos. Die zeitgemäße Antwort kennen wir: Urlaub! Zusätzlich kann man aber auch die Daumen drücken. Dass nämlich die Hoffnung aller regionalen Klarköpfe auf Gesundheit und Freundschaft weiterhin aufgeht. Die spannende Drei-Länder-Halbinsel Istrien kann Spannungen nicht gebrauchen.

Infos

Tourismus
Triest (Italien):
www.regione.fvg.it

Piran (Slowenien):
www.portoroz.si

Savudrija (Kroatien):
www.kroati.de/kroatien-
istrien/savudrija.html

Drei-Länder-Radwanderweg
www.parenzana.net

Literatur:
Wolfram Letzner, »Istrien – die 40 bekanntesten historischen und archäologischen Stätten«, Nünnerich-Asmus-Verlag 2014, 142 S., geb., 19,90 Euro

Lore Marr-Bieger, »Istrien – Reiseführer«, Michael-Müller-Verlag 2017, 360 S., brosch., 18,90 Euro

Marica Bodrožić, »Mein Weißer Frieden«, Luchterhand Verlag 2014, 336 S., geb., 19,99 Euro

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