Misstrauen gegenüber dem »Propaganda-Megaphon«

Die algerische Führung vermeidet eine offizielle Stellungnahme zum Fall Skripal - ihre Meinung ist dennoch kein Geheimnis

  • Claudia Altmann, Algier
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit größter Aufmerksamkeit beobachten die Regierungen der nordwestafrikanischen Länder den gegenwärtigen Konflikt zwischen der EU und den USA einerseits und Russland andererseits. Bei beiden handelt es sich um strategisch und vor allem ökonomisch wichtige Partner für Algerien, Marokko und Tunesien. Die wachsenden Spannungen nach dem Giftmordanschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter fallen zudem in eine Zeit, in der die russische Regierung verstärktes Interesse an der Maghreb-Region zeigt. In dessen größtem Land, Algerien, kann Moskau dabei auf jahrzehntelange enge Beziehungen zurückgreifen.

In Zeiten des Kalten Krieges hatte sich der junge unabhängige Staat ideologisch den sozialistischen Ländern zugewendet. Neben der Ausbildung zahlreicher Fachleute und Akademiker blühte die Zusammenarbeit vor allem im für Algerien staatstragenden militärischen Bereich.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die durch den Fall Skripal ausgelöste Eskalation vom algerischen Rundfunk mit einer eindeutigen Position kommentiert wird. »Sofort erklären die britischen Medien und Politiker, dass beide auf direkten Befehl von Wladimir Putin höchstselbst vergiftet wurden. Selbstverständlich wurde für diese Unterstellung kein einziger Beweis geliefert. Es hat genügt, dass die britischen Medien es so darstellen, und schon wird es für die Wahrheit genommen«, kritisiert die Kommentatorin und wird noch deutlicher: »Für die armen Deppen, die sich noch weigern, die anti-russische Version zu schlucken, haben die britische Regierung und die Medien mühelos den Fall des ebenfalls vergifteten Doppelagenten Alexander Litwinenko parat. Auch hier trötete man in dasselbe Horn: Litwinenko wurde, wie jeder weiß, auf direkten Befehl Putins 2006 mit Polonium ermordet. Das Problem ist, dass auch für diese Anschuldigung niemals stichhaltige Beweise geliefert wurden.«

Aber man brauche keine Beweise, wenn man »ein Propaganda-Megaphon« habe, um falsche Fährten zu legen. Schließlich endet sie mit scharfem Ton: »Der Umgang mit der Affaire Skripal kann nur als Teil einer brutalen Angriffskampagne interpretiert werden, die die westlichen Regierungen und Medien gegen Russland führen. Gegen ein Russland, das ein mächtiger Akteur auf der internationalen Bühne ist und das die anglo-amerikanischen Vormachtbestrebungen zurückzuschlagen in der Lage ist.«

Der Journalist Hacen Ouali von der unabhängigen Algierer Tageszeitung »El Watan« sieht in dieser Haltung eine »reflexartige pro-russische Reaktion«. »Das ist darauf zurückzuführen, dass bis heute Militär und Politik von sowjetischer Software geprägt sind«, sagte er dem »nd«. »Das wirkt sich auch auf die Positionen zu geostrategischen Fragen aus, in denen Übereinstimmung herrscht. Man sieht es in der Unterstützung Russlands für Syrien ebenso wie im Fall Libyen, wo beide Seiten das Prinzip der Nichteinmischung vertreten.«

Andererseits strebe die algerische Führung in den vergangenen Jahren eine breitere Fächerung an, um nicht Geisel einer einzigen Allianz zu sein. »Der jetzige Präsident, der schon immer pro-amerikanisch und pro-westeuropäisch war, hat diese Politik auf der internationalen Einbahnstraße beendet.« Daraus erklärt sich auch, dass es bislang keinerlei offizielle Stellungnahme algerischer Politiker gibt. Beim Besuch des russischen Regierungschefs Dmitri Medwedjew im Oktober ließ jedoch Außenminister Abdelkader Messahel keinen Zweifel an den »ausgezeichneten Beziehungen« beider Länder, die in einer »neuen Etappe erweitert und ausgebaut« würden. Auch Regierungschef Ahmed Ouyahia freute sich über die »viel versprechenden Perspektiven« durch eine breiter gefasste Zusammenarbeit. Russland hat weiter Interesse an der militärischen Kooperation mit seinem drittwichtigsten Partner nach China und Indien. Weiter sollen gemeinsame Vorhaben in den Bereichen Erdöl und Erdgas, Spitzentechnologie sowie bei der zivilen Nutzung von Atomkraft, bei der Weltraumforschung und in der Lebensmittelindustrie realisiert werden.

Bei Letzterem allerdings hinkt Algerien mit seiner schwächelnden und fast ausschließlich auf den Erdgas- und Erdölsektor basierten Wirtschaft hinter seinem Nachbarn Marokko hinterher. Dieser ist bereits in die Sanktionslücke gesprungen und versorgt den russischen Markt mit Zitrusfrüchten. Schon jetzt exportiert das Land 45 Prozent seiner Produktion nach Russland, das seinerseits den marokkanischen Anteil des Verbrauchs von jetzt 25 auf 50 Prozent steigern will. Bei Medwedjews Besuch in Rabat vor einem halben Jahr wurde zudem beschlossen, in wenigen Monaten eine Freihandelszone einzurichten. Außerdem wurde eine Vielzahl von Kooperationsverträgen unterzeichnet.

Diese Sympathie füreinander markiert eine neue Strategie auf beiden Seiten. Bislang galt Marokko traditionell als sicherer Partner der USA. Wie ernst es Moskau mit dem neuen Verbündeten ist, zeigt auch das Schweigen zur Westsahara, die von Marokko beansprucht wird. In diesem Konflikt muss Rabat jedoch weiterhin vor allem auf die Rückendeckung von Paris und Madrid bauen. Dies und die enge ökonomische Bindung an Europa sind denn wohl auch der Grund dafür, dass offiziell keine Position zum derzeitigen Konflikt zwischen Russland und dem Okzident bezogen wird. Vielmehr beschränkte man sich dieser Tage in den Medien diplomatisch darauf, die Äußerungen von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres ausführlich wiederzugeben, der vor einem neuen kalten Krieg warnt.

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