Das Glück erarbeitet

Wie RB Leipzig durch internationale Erfahrungen und Siege wächst

  • Ullrich Kroemer, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Fans von RB Leipzig hatten das Motto für diesen Europapokalabend gegen Olympique Marseille in der Messestadt vorgegeben. »Still hungry for the cup«, stand da in riesigen Lettern vor dem Fanblock. Und weiter oben: »Always keep on dreaming.« Wer mochte, konnte das trotz oder gerade wegen der stadtinternen Rivalität auf das verlorene Cupfinale des 1. FC Lok Leipzig 1987 gegen Ajax Amsterdam beziehen. Oder darauf, dass es RB Leipzigs Bossen nach dem Aus in der Champions League zunächst schwerfiel, Reiz und Nutzen der Europa League zu erkennen. Längst aber haben auch der anfängliche Skeptiker Ralf Rangnick und Geschäftsführer Oliver Mintzlaff Hunger auf den Wettbewerb bekommen. Zwar gibt es in der Europa League im Vergleich zur Königsklasse nur Peanuts zu verdienen. Doch dafür erspielt sich RB Leipzig als einziges im internationalen Geschäft verbliebenes deutsches Team neben Bayern München hierzulande ebenso wie europaweit Renommee.

Zwar war der hart erkämpfte 1:0 (1:0)-Erfolg gegen den französischen Ligadritten im Viertelfinalhinspiel am Donnerstagabend kein wuchtiges Offensivspektakel, wie man das von RB gewohnt ist. Entsprechend verhalten waren Team und Trainer Ralph Hasenhüttl nach dem schweißtreibenden Arbeitssieg auch. »1:0 ist in Ordnung, aber nicht überragend, wir müssen auswärts arbeiten. Das zweite Spiel wird sehr, sehr schwer«, warnte Torhüter Peter Gulacsi. Und Hasenhüttl, dem ebenfalls die Strapazen der vorausgegangenen 90 Minuten anzusehen waren, sagte: »Wir sind müde, es war anstrengend und auch nervenaufreibend. Die Anspannung bis zum Schluss war groß. Es gibt weder einen Grund euphorisch, noch enttäuscht zu sein.«

So waren die Leipziger vor allem über das erste internationale Spiel ohne Gegentreffer stolz - und das gegen die deutlich erfahreneren und im Schnitt sechs Jahre älteren Franzosen. Dass es zur Premiere kam, hatte zwar auch mit der Chancenverwertung des Teams um Kapitän Dimitri Payet zu tun, das vier klare Gelegenheiten vergab. Hasenhüttl entschuldigte sich mit Blick auf die Statistik beinahe, dass seine Mannschaft angesichts der Torschussbilanz von nur zehn zu 17 Torschüssen nicht die bessere gewesen sein könne. Doch indem der Europapokalneuling in den kritischen Phasen nach der Pause und zum Schluss kühlen Kopf behielt und anders als in zahllosen Partien zuvor kein spätes Gegentor kassierte, hat er sich auch das Glück erarbeitet.

So zeigte diese Partie noch einen weiteren Wert der Europa League für RB: Auf der kleineren Bühne kann der Red-Bull-Klub das in der Champions League bisweilen schmerzlich Gelernte anwenden, sich international beweisen und an den Aufgaben wachsen, ohne durch Qualität der Gegner oder öffentlichen Druck überfordert zu werden.

So ging es am Ende des Europapokalabends auch um Reife und Coolness, die sich RB international angeeignet hat. »So ganz cool sind wir noch nicht, wie man es bei großen Mannschaften sieht«, gab Hasenhüttl zu. »Nach hinten raus« seien seiner jungen Viererkette, in der Lukas Klostermann mit 21 Jahren der Senior ist, »ein paar Leichtsinnsfehler unterlaufen, bei denen ich das Gefühl hatte, dass der ein oder andere nervös geworden ist«, hatte Hasenhüttl beobachtet. »Aber ich glaube schon, dass wir uns mittlerweile wesentlich souveräner verkaufen, auch ergebnisorientierter agieren.« Einfach drauf losgespielt habe seine Mannschaft zu Saisonbeginn. »Jetzt sind wir gefestigter. Das ist auch unbedingt notwendig gewesen.«

Zur Reife zählt freilich auch, mit welcher Klasse Emil Forsberg wieder Regie in der Offensive führt und Timo Werner so wie beim Tor des Abends mit Pässen in die Tiefe in Szene setzt. Dass Werner sein 19. Saisontor für RB erzielte (45.), nötigte auch Forsberg Respekt ab. Ganz unprätentiös sagte der Schwede: »Er ist jetzt schon ein Weltklassestürmer. Wir sind froh, dass wir ihn haben und wir wollen ihn auch besser machen, indem wir ihm gute Chancen verschaffen.« Ob RasenBallsport schon cool genug ist, um ins Halbfinale einzuziehen, hängt auch davon ab, wie sich das Team gegen die heiße Atmosphäre im Stade Velodrom wehrt. Bereits am Montagabend müssen Forsberg & Co. gegen Bayer Leverkusen im immens wichtigen Sechs-Punkte-Spiel um die Champions-League-Qualifikation ein Reifezeugnis in der Bundesliga abliefern. Entscheidende Wochen - auch weil noch darüber entscheiden wird, ob Hasenhüttl Trainer bleibt und seinen 2019 auslaufenden Vertrag verlängert.

Nach Misstönen im Winter sind die Gespräche wieder aufgenommen worden und der Österreicher kann sich eine weitere Zusammenarbeit gut vorstellen. Ein wichtiges Signal für den gesamten Klub. Vor einem eindeutigen Bekenntnis scheut sich der 50-Jährige aber noch. Auch, weil er die Mechanismen des Geschäfts kennt. »Wenn ich jetzt vier, fünf Spiele verliere, bin ich in einem Monat nicht mehr Trainer hier«, meinte er vielsagend am Donnerstagabend. Doch da das angesichts des aktuellen Laufs nicht zu befürchten steht, dürfen die Fans nicht nur vom Europapokal träumen, sondern auch von einer Vertragsverlängerung Hasenhüttls.

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