Das dreckige Geschäft mit den Mafia-Orangen

Unwürdige Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung, Sklaventreiberei - in Italien ist der Zitrusfrüchteanbau oft in der Hand krimineller Banden

  • Annette Reuther
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Morgengrauen kommen sie von überall her. Sie radeln zu Straßenkreuzungen und versammeln sie sich in kleinen Gruppen. Ein Transporter rumpelt über die Schlaglöcher der Straße, vorbei an Tierkadavern und Müll. Er hält und sammelt Wartende ein. Es geht auf die umliegenden Felder, wo Orangenbäume mit saftigen Früchten stehen. Hier in Kalabrien, an Italiens Stiefelspitze, ernten Migranten unter unmenschlichen Bedingungen Zitrusfrüchte, die auch nach Deutschland verkauft werden.

In der Gegend um den Ort Rosarno leben sie zu Tausenden in Slums, unter Plastikplanen ohne Strom und fließendes Wasser, quasi in ihren eigenen Exkrementen. Das Ghetto San Ferdinando zählt zu den größten in Italien. Niemand will die Migranten hier haben, doch sind sie für die Landwirtschaft unabkömmlich: Um immer billigere Produkte herstellen zu können, die dann für immer weniger Geld in Supermärkten verkauft werden können. Sie arbeiten für einen Hungerlohn und sind rund um die Uhr das ganze Jahr einsatzbereit. Manchmal stirbt einer aus Erschöpfung. Danach geht es weiter wie vorher.

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Im Hintergrund zieht auch die Mafia die Strippen, kontrolliert Transport, Verkauf und die Organisation der ausgebeuteten Arbeiter. »Die Aktivität der Mafia betrifft die gesamte Produktionskette, von der Herstellung über den Transport, den Vertrieb und den Verkauf«, heißt es in einem Bericht des Bauernverbandes Coldiretti. Das System hat in Italien längst einen eigenen Namen: Agromafia.

»Hier in unserer Gegend teilen sich zwei Verlierer der Globalisierung die Armut: Die Bauern der Region und die Migranten«, sagt der Bürgermeister von Rosarno, Giuseppe Idà. Längst sei die Landwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig. Zitrusfrüchte kämen mittlerweile viel billiger aus Nordafrika oder Brasilien. Ein Bauer in Kalabrien sei gar nicht in der Lage, den Arbeitslohn von 40 Euro zu bezahlen - und so gibt es für den Migranten nur etwa 20 Euro pro Tag, davon muss er noch den Transport, das Brötchen und sein Wasser bezahlen. Das System funktioniert im ganzen Land: In Kalabrien und Sizilien für die Zitrusfrüchte, in Apulien für die Tomaten und im Piemont für Weintrauben.

Der Verbraucher kann schwer feststellen, ob er mit seiner gekauften Ware ein modernes Sklavensystem mafiösen Charakters mitten in Europa unterstützt. »Das Problem ist, dass es keine Kontrolle gibt«, sagt der italienische Autor Antonello Mangano, der zahlreiche Recherchen dazu gemacht hat. Mit dem Kauf einer Zitrone, Orange oder Tomate im deutschen Supermarkt sei es also möglich, dass man indirekt auch in die Taschen der Mafia zahlt.

Zwar würde es in Italien regelmäßig Festnahmen, Beschlagnahmungen oder Strafen für mutmaßliche Kriminelle in der Landwirtschaft geben. »Aber danach geht es weiter wie vorher.« Statt sich auf die dem Untergang geweihte herkömmliche Landwirtschaft zu konzentrieren, sollte man in Italien an »Exzellenz« und ethisch korrekten Produkten arbeiten, so Mangano. »Beim Preis können wir schon lange nicht mithalten.«

Italien ist für Deutschland nach Spanien und den Niederlanden das drittwichtigste Land für den Import von frischem Obst und Gemüse, wie aus der Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums hervorgeht.

Doch wo genau die Ware herkommt und unter welchen Umständen sie geerntet wurde, erfährt man im Supermarkt meist nicht. »Es ist für den deutschen Verbraucher schwer zu erkennen, ob er ein mafiafreies Produkt kauft, da steht ja nicht «Produced by Mafia» drauf«, sagt Elmar Schulze Messing vom Fairhandels-Zentrum Rheinland, das auch mafiafreie Waren aus Italien vertreibt. »Die Menschen wollen mehr Bio haben, weil das gut für ihre Gesundheit ist. Der soziale Aspekt, wie die Produkte hergestellt werden, wird vernachlässigt.«

Aber selbst in Rosarno gibt es inmitten der Hoffnungslosigkeit einen Lichtblick. Organisationen wie die Vereinigung SOS Rosarno bieten auch Migranten einen fairen Arbeitsplatz an und verkaufen ihre Bio-Zitrusfrüchte im In- und Ausland. »Hier spielt sich ein unglaublicher Niedergang ab, ein Krieg zwischen den Armen«, sagt Nino Quaranta. Er träumt im grünen Orangenhain von einer besseren Welt. Ihm sei bewusst, dass seine Orangen und Mandarinen teurer seien und sie sich nicht jeder leisten könne. Aber sein Credo ist: Wenn immer mehr Menschen fair gepflückte Ware kauften, dann würden auch diese Produkte mit der Zeit billiger. dpa/nd

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