Wer nicht spurt, wird zwangsgetauft

Im Videospiel »Far Cry 5« errichten Fundamentalisten in den USA eine Schreckensherrschaft - und die Rechte protestiert

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 5 Min.

Während die Sonne aufgeht und die Landschaft mit Morgenröte einfärbt, brettert ein Konvoi Pick-up-Trucks über eine Landstraße. Auf den Ladeflächen wurden schwere Maschinengewehre montiert, dahinter haben sich religiöse Fanatiker positioniert, um ihren neuen Staat gegen die Ungläubigen zu verteidigen. Allerdings handelt es sich im neuesten Teil der Videospielserie »Far Cry« des franko-kanadischen Entwicklers Ubisoft Montreal nicht um den Islamischen Staat, der nahöstlichen Sand mit Blut tränken möchte, sondern um christliche Fundamentalisten, die im Herzen der Vereinigten Staaten, genauer: im weitläufigen Montana, einen Krieg gegen die US-Bundesregierung führen.

Die Region um den fiktiven Hope County Nationalpark, geprägt von schneebedeckten Gebirgszügen, immergrünen Wäldern und anmutigen Seen, steht beispielhaft für die abgehängten, aber idyllischen und ruhigen Gebiete, die es in den Vereinigten Staaten zur Genüge gibt. Fernab der Großstädte leben nur wenige Menschen, und viele von ihnen, so hat man den Eindruck, tun dies ganz bewusst, um sich dem Trubel einer schneller werdenden Welt zu entziehen. Hier kann man noch für sich sein, in Frieden, auch, um seine konservativen Vorstellungen ungestört auszuleben. Viele sind zutiefst religiös und nicht wenige von automatischen Feuerwaffen begeistert, manche treiben ins politische oder religiöse Extrem ab.

Daran knüpft die Handlung von »Far Cry 5« an. Joseph Seed heißt der Antagonist, der mit seiner Organisation »Edens Gate« die Macht in Hope County an sich gerissen hat. Er ist ein christlicher Prediger, der von der bevorstehenden Apokalypse überzeugt ist und einen Teil der Menschen »retten« möchte - ob diese wollen oder nicht. Mit seinen überzeugten Anhängern errichtet er ein Schreckensregime, welches weder vor den für Sekten üblichen Formen der Indoktrination noch vor Gewalt und Mord zurückschreckt. Wer sich nicht anschließen will, wird zwangsgetauft, umgebracht oder mit Gehirnwäsche zum willenlosen Sklaven der Bewegung gemacht. Die Regierung schreitet viel zu spät ein, und die versuchte Festnahme Seeds, an der man frei wählbar als Protagonistin oder als Protagonist teilnimmt, endet in einem Desaster.

Obwohl man der Sekte als Einziger entkommen kann, gibt es keine Hoffnung auf Nachschub an Gesetzeshütern, denn die Sekte hat kurz alle Verbindungen zur Außenwelt gekappt und kontrolliert die Grenzen. Wo es kein Entkommen gibt, bleibt nur die Flucht nach vorn. Als Spieler ist man nun in der Pflicht, den Widerstand gegen die radikalen Christen aufzubauen. Die Spielmechanik unterscheidet sich dabei nur in geringen Maßen von den Vorgängern. »Far Cry 5« bleibt nach wie vor ein Ego-Shooter, dem Spieler steht eine vielfältige, offene Welt zur Verfügung, die er abseits von Haupt- und Nebenmissionen frei erkunden kann. Dabei kann er auf eine Vielzahl an Nah- und Fernkampfwaffen, Fahr- und Flugzeugen zurückgreifen, mit deren Hilfe er sich durch unzählige Mengen Mensch und Tier kämpfen kann.

Über die Story hingegen gab es schon im Vorfeld kontroverse Diskussionen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Obwohl die optische Parallele zum realen Terrorismus im Nahen Osten gegeben ist, nimmt das Spiel viel Bezug auf aktuelle Phänomene und Entwicklungen, kehrt sozusagen vor der eigenen Haustür. Das schmeckt nicht allen Spielern, einige halten es für »antiamerikanisch«. Schon vor der Veröffentlichung des Spiels machte eine rechte Petition Furore, die von Ubisoft starke inhaltliche Veränderungen forderte, der Feind sollten gefälligst der Islam oder zumindest migrantische Gangster sein, das sei »realistischer«. Die Petition scheint aus dem Umfeld der sogenannten Alt-Right-Bewegung (dt. Alternative Rechte) zu stammen, die an vielen Schauplätzen gegen einen von ihr herbeiimaginierten »Kulturmarxismus« kämpft, der sich angeblich vor allem gegen heterosexuelle, weiße Männer richte und hauptverantwortlich für Feminismus und die sogenannte Genderideologie sei. Diese Inhalte kommen in Spieleforen und Memeboards wie 4Chan, deren Teilnehmer sich für eine Art intellektuelle Elite halten und ihre traditionelle Lebensweise bedroht sehen, gut an.

Mit diesen Leuten musste sich jüngst auch der Spiele-Publisher Bethesda Softworks herumschlagen, als vergangenen Oktober der neueste Teil der »Wolfenstein«-Reihe erschien. In der Serie, die in Deutschland nur geschnitten erhältlich ist, kämpft der Protagonist, ein jüdischer Widerstandskämpfer, in einer Alternativwelt gegen Nazis, die den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Bethesdas Werbekampagne für »Wolfenstein II« gab sich antifaschistisch und zog Parallelen zu aktuellen Geschehnissen in den Trump-USA. Ein Clip spielte gar auf eine populäre Szene an, in der ein Antifa-Aktivist dem Alt-Right-Rädelsführer Richard Spencer vor laufender Kamera einen Schlag ins Gesicht verpasste. Durch die rechte Szene ging ein Aufschrei und es folgten zahlreiche Shitstorms gegen Bethesda.

In der Videospielbranche herrscht ein immer offener zutage tretender Kulturkampf, der in den Spielen immer atemberaubender und ansprechender, außerhalb davon immer hässlicher zu werden scheint. Fakt ist, dass Videospiele längst schon keine Nische mehr sind, sondern ein ernst zu nehmendes Medium, das dem klassischen Film in nichts mehr nachsteht und dementsprechend auch von gesellschaftlichen Entwicklungen nicht unberührt bleiben kann. Wünschenswert wäre, dass auch die Linke dem Medium mehr Beachtung schenkt.

Letztendlich wird der Hype um »Far Cry 5« der Story aber nicht gerecht. Die Problematik der wachsenden Bewegung christlicher Fundamentalisten und sogenannter Prepper (Menschen, die sich auf den baldigen Weltuntergang oder eine große Katastrophe vorbereiten, indem sie Bunker bauen und Waffen horten) verkommt zum bloßen Anlass für ein weiteres Bildschirmgemetzel. Willenlose Zombies und mutierte Wölfe, die von den »Bösen« abgerichtet werden, machen die Geschichte eher noch unglaubwürdig; der religiöse Hintergrund ist weitestgehend austauschbar und banal. »Far Cry 5« ist entgegen den Erwartungen kein zynischer, gesellschaftskritischer Kommentar geworden, wie man es zum Beispiel vom bei Elternverbänden berüchtigten »Grand Theft Auto« kennt. Wer das gar nicht erwartet, findet hier aber kurzweilige Unterhaltung in einer mehrstündigen Story.

Far Cry 5, Ubisoft Montreal

Erhältlich für PC, PS4 und Xbox One.

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