Werbung

Gefährliche Wissenslücken im Ministerium

Fahrzeug-Attacken häufen sich - doch das BMI hat weder Ahnung noch Zahlen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein PKW wird absichtlich in eine Menschengruppe gelenkt, es kommt zu einem Handgemenge, ein Verletzter bleibt zurück. Was auf den ersten Blick wirkt, wie ein islamistischer Anschlag, soll sich vor wenigen Tagen im sachsen-anhaltischen Salzwedel zugetragen haben. Doch den großen Medienhäusern war die Geschichte keine Meldung wert, schließlich saß am Steuer ein rechter Rocker und sein Ziel waren antifaschistische Demonstranten. Der Vorfall zeigt, dass Fahrzeug-Attacken kein Privileg religiös verblendeter Attentäter sind, sondern auch von durchgeknallten Neonazis verübt werden. Wobei nicht immer klar ist, ob es sich tatsächlich um Anschläge handelt. Exemplarisch dafür ist ein tödlicher Unfall in Cottbus vom April 2017, der bis heute Fragen nach möglichen Motiven des Todesfahrers aufwirft. Da wurde eine ägyptische Studentin überfahren und starb im Krankenhaus. Laut Zeugenaussagen soll der Fahrer kurz vor dem Zusammenstoß beschleunigt haben. Später sollen Insassen des PKW das am Boden liegende Opfer rassistisch beschimpft haben.

Vor dem Hintergrund dieser Vorfälle und der jüngsten Fahrzeug-Attacke in Münster mit drei Toten, deren Hintergründe wohl nie ganz geklärt werden können, wollte Bundestagsabgeordnete Martina Renner (LINKE) von der Regierung wissen, wie diese die »aktuelle Gefährdungslage« durch Fahrzeug-Attacken beurteilt, »die von Rechtsextremisten, Neonazis, Rassisten oder Personen aus dem Umfeld der extrem rechten Szene begangen werden könnten«. Das zuständige Bundesinnenministerium gibt sich in seiner Antwort arglos: »Für den Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität rechts (PMK rechts) stellen die in Rede stehenden ›Fahrzeug-Attacken‹ keinen üblichen Modus Operandi dar«, heißt es in dem Schreiben, das »nd« vorliegt. Renner zeigte sich am Mittwoch gegenüber dieser Zeitung enttäuscht über die Antwort: »Das blinde rechte Auge der Sicherheitsbehörden ist und bleibt das hausgemachte Sicherheitsrisiko für die potenziellen Opfer neonazistischer und rassistischer Gewalttäter«.

Die Linkspolitikerin wollte zudem wissen, wie viele solcher Fahrzeug-Attacken die Bundesregierung bislang gezählt habe. Renner selbst verweist in ihrer schriftlichen Anfrage auf »mindestens 13 Fahrzeugattacken von Neonazis mit sechs Todesopfern«. Auch hier offenbart die Bundesregierung gefährliche Wissenslücken. Da der Begriff »Fahrzeug-Attacke« kein »einheitliches Bewertungskriterium« sei, habe man auch keine Fallzahlen. Es sei jedoch beabsichtigt, »bundesweit gültige Katalogwerte für Tatmittel (u. a. Fahrzeuge) zum 1. Januar 2019 einzuführen«. Mehr als drei Jahre nachdem ein Islamist auf einem Berliner Weihnachtsmarkt 12 Menschen mit einem gekaperten Sattelschlepper tötete, sollen Anschläge mit Fahrzeugen gesondert erfasst werden! Die Bundesregierung reagiert im Zeitlupentempo und hat auch sonst keine Ahnung. Auf die Frage Renners nach der aktuellen Gefährdungslage durch Fahrzeug-Attacken räumt das Innenministerium ein, dass die Bundesrepublik im »unmittelbaren Zielspektrum verschiedener jihadistischer Organisationen« stehe. »Dementsprechend besteht für das Bundesgebiet eine anhaltend hohe Gefährdung, die sich jederzeit in Form von gefährdungsrelevanten Ereignissen bis hin zu jihadistisch motivierten Anschlägen konkretisieren kann«. Sprich: Es kann jederzeit wieder geschehen.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.