Der Churchill-Klub

Phillip Hoose erzählt, wie dänische Schüler den deutschen Okkupanten die Krieg erklärten

Es war ein Frühstück wie alle Tage, bis die Teller zu klappern begannen. Dann zerriss eine schrille Alarmsirene die morgendliche Stille, und im Himmel über dem dänischen Odense schwoll der Donner an. Die Familie Pedersen lief nach draußen und blickte hinauf in den Himmel. Ein Flugzeuggeschwader brauste über ihre Köpfe hinweg und warf grüne Zettel ab. - Man schrieb das Jahr 1940. Am 9. April überfiel die deutsche Wehrmacht Dänemark und Norwegen. »Unternehmen Weserübung« nannten die Nazis die heimtückische Aggression.

Knud Pedersen, 14 Jahre, greift einen vom Himmel flatternden Zettel. Er liest den im schlechten Dänisch verfassten Aufruf an »Dänemarks Soldaten und Dänemarks Volk«. Die Deutschen seien gekommen, um sie vor den Engländern und Franzosen zu beschützen, heißt es darin. Und dass Dänemark nunmehr »Protektorat« von Deutschland sei. Bereits am nächsten Tag kapitulieren der dänische Premierminister Thorvald Stauning und König Christian X. Kurz darauf sind wie in ganz Dänemark auch in Odense, der zweitgrößten Stadt des Landes, Hotels, Fabrikgebäude und Kasernen von den Deutschen besetzt und öffentliche Plätze mit deutschen Wegweisern versehen. - Knud Pedersen erinnert sich: »Ich war in der achten Klasse, als die Deutschen kamen. Bis zu den Sommerferien waren es noch ungefähr zwei Monate. Niemand konnte an etwas anderes denken als an die Besetzung, doch in jenen Wochen schärften uns die Lehrer unentwegt ein, nicht darüber zu reden. Nur nicht widersprechen. Nicht aufmucken ... In unserem Lehrerkollegium gab es viele Deutschlandfreunde. Und aus unseren Büchern sprudelten sie plötzlich nur so hervor, die Geschichten über fröhliche Hitlerjungen, die in die Sonne hinauszogen und zelteten und durch die Wälder wanderten und in den Bergen spielten und alte Burgen besichtigen durften und der ganze verdammte Mist.«

Knud, der sich bis dahin nicht für Politik, nur fürs Boxen und Malen interessierte, studiert nun Zeitungen und hört BBC, den britischen Sender, erfährt von Massakern der Deutschen, vom Überfall auf Frankreich im Mai 1940, das ebenfalls in einem »Blitzkrieg« besiegt wird, aber auch vom erbitterten Widerstand in Norwegen. Knud ist empört, dass sich die Mehrheit der Dänen so rasch mit den Besatzern arrangiert. Er ist beeindruckt von seinem Vater, Pfarrer in Odense, der sonntäglich mutig von der Kanzel herab schimpft: »Möge Gott den Nazis vergeben, ich kann es nicht!« Knud möchte selbst etwas tun.

Eines Tages treffen er, sein älterer Bruder Jens und ihr Cousin Hans Jørgen Andersen sich mit ihren Freunden Harald Holm und Knud Hedelund in der Abgeschiedenheit eines Friedhofs von Odense. Die Jungs beschließen, eine Widerstandsgruppe zu gründen, die sie RAF-Club nennen, nach den britischen Luftstreitkräften, der Royal Air Force, die sie ob ihrer heroischen Luftschlachten mit den Deutschen bewundern.

»Wir waren wenige, die Deutschen viele«, erinnert sich Knud Pedersen im Gespräch mit dem US-amerikanischen Sachbuchautor Phillip Hoose. »Sie waren voll ausgebildet, bis an die Zähne bewaffnete Hünen. Wir hatten überhaupt keine Waffen.« Ihre Waffen werden die Fahrräder, mit denen sie blitzschnell zu ihren Einsatzorten des Widerstands eilen und ebenso fix wieder entschwinden. Die Kinder drehen Wegweiser der Deutschen um oder entfernen sie gänzlich, was für etliche Verwirrung unter den Wehrmachtssoldaten sorgt, die sich in dem von ihnen eroberten fremden Land nicht auskennen. Sie trennen Kabel durch, kappen telefonische Verbindungen. Und sie malen antifaschistische Parolen an Häuserwände. Sie schlagen regelmäßig zu und sind im Herbst 1940 bereits stadtbekannt - anonym natürlich. Den Deutschen gelingt es nicht, sie zu schnappen. Trotz Fahndungshilfe durch die dänische Polizei. »Acht Beamte wurden eigens auf uns angesetzt«, berichtet Knud Pedersen seinem Interviewer.»Der Kommissar der Polizeiwache Odense ließ über die Zeitung verkünden, dass jeder, der Informationen liefere, die zu unserer Festnahme führen, eine Belohnung von 300 dänischen Kronen bekäme.«

Im Frühjahr 1941 wird Edvard Pedersen, der ebenso wie seine Frau nichts vom heimlichen Treiben seiner Söhne weiß, an eine andere Pfarrstelle berufen. Die Familie zieht 240 Kilometer nach Norden, in die Stadt Aalborg. Knud und Jens, inzwischen 15 und 16 Jahre alt, nehmen schweren Herzens Abschied vom RAF-Club. Sie sind fest entschlossen, den Widerstand in Jütland fortzusetzen. Und tatsächlich gründen sie eine neue Widerstandsorganisation, die sie nach dem britischen Premierminister Churchill-Club nennen. Sie gewinnen neue Mitstreiter an ihrer neuen Schule. »Wir wussten, dass wir mit jedem neuen Mitglied auffliegen konnten. Aber solche kalkulierten Risiken musten wir eingehen. Wir brauchten Leute.«

Ihre Aktionen werden immer tollkühner. Sie erbeuten Waffen, zunächst eine Pistole, dann auch ein Gewehr, Munition und Granaten. Ihr Mitschüler Mogens Fjellerup, Spitzname »der Professor«, Klassenbester in Physik und Chemie, bastelt Sprengsätze. Der Hass der Kinder vom Churchill-Club richtet sich auch gegen Kollaborateure wie die Baufirma Fuchs, die für das deutsche Militär Hangars, Landebahnen und Bürogebäude auf dem Flughafen von Aalborg errichtet. Dem Domizil des Unternehmens gilt ihr erster Sprengstoffanschlag. Die Jungs frohlocken, als Auftragsbücher, Quittungen und fertige Bauzeichnungen in Flammen aufgehen.

Auch in Aalborg kommt man ihnen nicht auf die Schliche. Vorerst. Die jungen Helden träumen davon, sich nach Erreichen der Volljährigkeit nach England durchzuschlagen und sich den britischen Streitkräften anzuschließen. Das wird ihnen jedoch nicht gelingen. Im Frühjahr 1942 wird einer nach dem anderen verhaftet. Schuld daran - wenn man angesichts des zarten Alters der Widerstandskämpfer davon sprechen kann - war die Unvorsichtigkeit eines RAF-Mitglieds in Odense. Die Verhaftung und Einkerkerung der Kinder vom Churchill-Club empört die Dänen, versetzt die Nation in Aufregung. Immer mehr Dänen gehen in den Widerstand. Das hatten sich die Jungs mit ihrem Vorbild erhofft.

Phillip Hoose: Sabotage nach Schulschluss. Wie wir Hitlers Pläne durchkreuzten. dtv, 238 S., br., 9,95 €.

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