• Berlin
  • Kunstszene in der Muskauer Straße

Gentrifizierung essen Kunst auf

KünstlerInnen in der Muskauer Straße droht der Rausschmiss – Vermieter will mehr Geld

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 6 Min.

Konzentriert sitzt Susanna Kirschnick vor einem großformatigen Bild in ihrem Atelier. Mit einem feinen Pinsel trägt sie vorsichtig die Retuschierfarbe auf das überdimensionierte Foto auf. Hier im Keller des Vorderhauses und in der an angeschlossenen Erdgeschossetage des Hinterhauses der Muskauer Straße 24 in Kreuzberg betreibt sie das »gOlab«, eine der letzten Farbdunkelkammern dieser Größe weltweit, in die man sich einmieten kann. Seit fast 20 Jahren arbeitet Kirschnick hier an Farbfotos für namhafte Größen der Kunstszene. KünstlerInnen aus der ganzen Welt kommen in ihr Labor, um analoge Fotografien zu entwickeln oder zu bearbeiten. »Es ist eines der Letzten, die es in dieser Form noch gibt«, sagt sie. »In London oder Tokyo kann man das noch machen, aber dort kann man nur noch kleine Formate arbeiten, weil die Flächen auch schon gentrifiziert worden sind.« Die Liste ihrer nationalen und internationalen KundInnen ist lang. Fotos mit einer Breite von bis zu 1,27 Meter lassen sich hier analog vergrößern und bearbeiten.

Doch Kirschnicks Existenz ist bedroht. Geht es nach dem Willen des Vermieters Alexander Verowski und der familieneigenen Hausverwaltung »Biddex«, dem das Haus seit ungefähr 30 Jahren gehört, soll die Miete in den von ihr genutzten Räumen zum Jahreswechsel erhöht werden. Vor kurzem hat die »Biddex«, vertreten durch die beiden Söhne Maximilian und Robert Verowski, allen Mietparteien des Hinterhauses deswegen die Kündigung ausgesprochen und kurz darauf dieselben Räume für das Dreifache (15 Euro pro Quadratmeter) wieder angeboten – ohne Renovierung.

Dabei dringt an manchen Stellen Wasser ein, die Stromleitungen, deren Verlegung durch die ersten NutzerInnen in Eigenregie in den Neunzigern erfolgte, müssen erneuert werden. Überhaupt habe der Vermieter sich in den letzten 20 Jahren kaum um das Haus gekümmert, heißt es. Dies sei ein »gutes Angebot«, habe es damals nach der Kündigung von Verowski geheißen. Immerhin könnte die »Biddex« auch 18 Euro pro Quadratmeter in der von ihr genutzten Hinterhausetage verlangen. Kirschnick zahlte aufgrund der Lage im Keller und Erdgeschoss bislang weniger als die übrigen Parteien in den Hinterhäusern. Den neuen Preis kann sie sich beim besten Willen nicht leisten. Umziehen kann sie ebenfalls nicht. »Meine KundInnen kommen hierher, weil sie die kulturelle Vielfalt in dieser Gegend schätzen und sich hier eingerichtet haben. Um großformatige Abzüge herzustellen, braucht man auch gewisse Flächen zur Produktion.«

Doch vor allem für junge KünstlerInnen bietet das »gOlab« eine einmalige Gelegenheit. »Es geht auch darum, unerfahrenen FotografInnen die Möglichkeit zu bieten, sich auszuprobieren, Ausstellungsformate zu produzieren, ohne auf Wirtschaftlichkeit achten zu müssen«, sagt sie und zitiert Heiner Müller: »Das Theater muss die Räume erhalten, in denen man noch experimentieren kann.« Der berühmte Dramatiker hatte in der Muskauer Straße Werke verfasst, bevor er im Dezember 1995 verstarb. Noch heute leben und arbeiten seine Witwe Brigitte Maria Mayer und die gemeinsame Tochter Anna Müller auf eine der Etagen im Hinterhaus.

Ob des drohenden Rauswurfs haben die Mietparteien der Muskauer Straße einen offenen Brief an den Eigentümer verfasst, um die Kunst- und Gewerbehöfe in der Muskauer Straße 24 zu erhalten. Auch Müller und Kirschnick haben unterschrieben. Sie verstehen ihre Situation als Teil der »aktuellen Entwicklung von ökonomischer Vertreibung, sozialer Entmischung und kultureller Enteignung im Stadtteil Kreuzberg«. Unterstützt wird der Brief zudem von 20 Initiativen und knapp 150 UnterstützerInnen, darunter prominente Namen, wie Daniel Barenboim, Frank Castorf, Corinna Harfouch, Alexander Kluge, Shermin Langhoff und Clemens Schick.

In der ersten und zweiten Etage sitzt das Social Impact Lab, ein Coworking-Space für junge Start-Ups. Über 300 Sozialunternehmen haben hier ihre Anfänge genommen. Das Unternehmen wurde vor 24 Jahren mit dem Ziel gegründet, SozialunternehmerInnentum zu fördern. Auf 280 Quadratmetern kann man sich hier für Co-Working, Veranstaltungen, Workshops oder Seminare einmieten und einbringen. In fast allen größeren Städten Deutschlands bietet das Projekt eigene Programme für Zielgruppen, etwa speziell zugeschnitten auf Geflüchtete oder Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig werden wollen. In Berlin gibt es jedoch derzeit wegen des drohenden Rauswurfs keine Programme mehr, sagt Melika Gewehr. »Wir suchen gerade sowohl neue PartnerInnen als auch eine neue Location.« Dabei fällt die Standortsuche nicht leicht. »Wir bauen zwar gerade ein Social Impact Lab in Beelitz, wo wir auch Programme für Berliner StipendiatInnen anbieten. Allerdings ist der Verlust des Standortes Muskauer Straße, an dem wir seit 1989 aktiv sind, für uns und unsere StipendiatInnen sehr groß.«

Eines dieser Start-Ups ist Conflictfood. Das Team um die beiden Gründer Salem El-Mogaddedi und Gernot Würtenberger bringen Agrarprodukte aus Krisenregionen, die sie persönlich bereisen, wie Afghanistan, Myanmar oder Palästina. »Es geht uns darum ein anderes Bild von den Ländern und den Menschen zu zeigen. Dass dort nicht nur Konflikte herrschen, sondern das auch eine Kultur und Alltag zu finden sind. Und dass die Länder kulinarisch verschiedenste Produkte anzubieten haben, die eine Geschichte erzählen«, sagt Benedikt Radloff. Besonders stolz ist er auf Safran, den Conflictfood von einem Frauenkollektiv aus Afghanistan bezieht. Damit unterstützen sie lokale Strukturen und ermöglichen zum Beispiel Kindern vor Ort eine bessere Schulbildung. »Uns ist es wichtig, nachhaltige Beziehungen aufzubauen.« Deswegen bezieht das Start-Up seine Produkte direkt und ohne ZwischenhändlerInnen bei LandwirtInnen und Kooperativen vor Ort. Alle Produkte sind daher fair gehandelt.

Die oberen zwei Etagen sind von der im Senatsauftrag tätigen Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) als Ateliers angemietet. Über den Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin (bbk) werden diese wiederum an Kunstschaffende wie den Performancekünstler Johannes Paul Raether vergeben. Nach Sozialkriterien wird entschieden, wer sich in den Ateliers einmieten darf. KünstlerInnen müssen sich mit Einkommensnachweisen und einem Portfolio bewerben. »Die Kulturförderung Berlin ist sozusagen Mieter von Herrn Verowski«, sagt Raether. Auch ihm droht der Rauswurf. Zwar sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, zumal Kulturverwaltung und Hauseigentümer weiterhin in Kontakt stünden. Sollten die Verhandlungen jedoch scheitern, müsste sich der Senat aus dem Objekt zurückziehen, sagt Raether. »Zugespitzt bedeutet das, dass der Berliner Senat es sich nicht mehr leisten kann, Flächen in Kreuzberg anzumieten.«

Für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram ist das ein unhaltbarer Zustand. Sie hat den Noch-MieterInnen der Muskauer Straße Unterstützung zugesichert und will sich im Senat für den Erhalt der Ateliers einsetzen. »Man muss beachten, dass Kunst davon abhängt, wo sie entsteht«, sagt sie dem »nd«. »Wenn die Kunst dort rausfliegt, verschwindet eine Instanz, die neben dem rechtlichen und stadtentwicklungspolitischen auf das Geschehen der Stadt schaut und dokumentiert. Das darf nicht sein.« Es sei symptomatisch, dass jetzt auch die Kunstszene von der Verdrängung betroffen sei, welche die Stadt einst so attraktiv gemacht habe. Mit einem Brief an den ursprünglichen Käufer der Immobilie, Alexander Verowski, will Bayram erreichen, dass dieser sich erweichen lässt. Im Gegensatz zu seinen Söhnen, denen es ohnehin nur ums Geld gehe, behauptet Bayram.

Die Verowskis geben sich derweil verschlossen. Zwar findet man auf Facebook zahlreiche Bilder der Söhne Max und Robert von Luxusurlauben am Strand in Australien, beim Fallschirmspringen oder auf einer Jacht. Auf Anfrage des »nd« reagiert man jedoch sehr zugeknöpft: »Senden Sie Ihre Anfrage bitte postalisch an uns«, heißt es. »Telefonisch geben wir keine Auskunft.« Eine schriftliche Anfrage per Mail blieb mehrere Tage und bis Redaktionsschluss dieser Seite leider unbeantwortet.

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