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Dreieck Späthsfelde in Berlin: Kampf ums Grün
In Treptow ist ein neues Stadtquartier geplant. Groß ist die Angst vor Verdrängung der Kleingärten im Dreieck Späthsfelde
»Ich bin Gärtner von Beruf. Früher bin ich jeden Abend nach der Arbeit in den Kleingarten gegangen.« Brigitte Blockhaus sitzt in der »Märchenhütte« auf dem Gelände der Späth’schen Baumschule in Treptow. Seit 1998 hat die 75-Jährige einen 500 Quadratmeter großen Kleingarten in der Anlage »Holunderbusch« und ist fast jeden Tag dort, sagt sie zu »nd«. Nun befürchtet sie, dass auch Teile ihrer Anlage verdrängt werden könnten, wenn das neue Stadtquartier Späthsfelder Dreieck gebaut wird. Deshalb hat sie am Dienstagnachmittag an einer Veranstaltung des Umweltverbands BUND Berlin mit Kleingärtner*innen, Anwohner*innen und der für Stadtentwicklung zuständigen Bezirksstadträtin Claudia Leistner (Grüne) teilgenommen. »Ich würde das sehr bedauern, meinen Garten zu verlieren. Man hängt schon sehr dran – an allem, was man hier über die Jahre angepflanzt hat«, sagt Blockhaus.
Das Dreieck Späthsfelde im Bezirk Treptow-Köpenick wird eingegrenzt vom Britzer Verbindungskanal im Norden, dem Teltowkanal im Südwesten und der Königsheide im Nordosten. Die Späth’schen Baumschulen liegen innerhalb des geplanten Quartiers und begrenzen es in Richtung Osten. Das 100 Hektar große Gebiet zeichnet sich neben der Baumschule und dem Arboretum der Humboldt-Universität Berlin durch zahlreiche Kleingartenanlagen, Brachflächen, Wiesen und die Grünflächen am Britzer Verbindungskanal aus. Daneben gibt es dort kleinere Wohn- und Gewerbeflächen. Die stark ausgelastete zweispurige Baumschulenstraße/Späthstraße schlängelt sich durch das Dreieck hindurch.
Mindestens 2000 Wohnungen sollen hier nach Willen des Senats entstehen, der das Gebiet 2023 als eines von 24 Stadtquartieren ausgewiesen hat. Aktuell laufen dafür die vorbereitenden Untersuchungen, im Rahmen derer verschiedene Planungsbüros Entwürfe für das Stadtquartier erstellen sollen. Diese sollen am Dienstag in den Späth’schen Baumschulen der Anwohnerschaft vorgestellt werden. Das Interesse daran ist so groß, dass die Veranstaltung laut Anmelde-Webseite bereits ausgebucht ist. Der Verein der Gartenfreunde Berlin will vor Ort für den Erhalt aller Kleingärten demonstrieren.
Auch im Bezirk wird das zukünftige Stadtquartier mit Argwohn betrachtet. »Ich glaube, dass es sinnvoll ist, Wohnungsbau woanders entstehen zu lassen«, sagt Stadträtin Claudia Leistner. Sie sehe das Dreieck Späthsfelde »aus vielerlei Gründen kritisch«. Das sei zum einen die Bedrohung für die Kleingartenstrukturen, die man allesamt erhalten wolle. »Wir verlieren Kleingartenanlagen, die für die Menschen nicht nur eine ökologische Funktion erfüllen, sondern die ja auch eine ganz wesentliche soziale Funktion erfüllen«, so Leistner. Außerdem müssten Grünflächen trotz notwendigem Wohnungsbau erhalten werden, weil sie der Erholung der Bewohner*innen und dem Hitzeschutz dienen. In Späthsfelde kommen die unbebauten Flächen auch als naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen in Betracht, wenn an anderer Stelle Wohnungen in geeigneteren Gebieten entstehen. Diese Funktion erfüllen bereits die Grünflächen entlang des Britzer Verbindungskanals.
Schließlich gebe auch die verkehrliche Situation kein neues Wohnquartier her, sagt Leistner. Die Verkehrsanbindung sei »sehr schwierig«, die Baumschulen- und Späthstraße schon jetzt überlastet. »Und dafür gibt es bisher aus meiner Sicht auch ehrlicherweise keine Lösung«, so Leistner. Der Bezirk habe seine kritische Haltung gegenüber dem Bauprojekt bereits in zahlreichen Gesprächen an den Senat übermittelt.
Auch der BUND kritisiert die Pläne für das neue Stadtquartier. Nicht nur die Kleingärten, auch andere Grünflächen, die das Gebiet prägen, könnten dem geplanten Bau von Wohnungen, Gewerbe und Verkehrsinfrastruktur zum Opfer fallen. Die Umweltorganisation hält davon nichts, weder in Späthsfelde noch an anderen grünen Orten in Berlin. »Wir fordern, dass grüne Flächen nicht bebaut werden«, sagt Verena Fehlenberg, Stadtnaturschutz-Referentin des BUND Berlin. Nicht nur trägt der Verlust von Flächen sowie die Zerschneidung von Lebensräumen erheblich zum Artensterben in der Hauptstadt bei, auch kühlen die Grünflächen die Stadt nachweislich herunter. Durch die Klimakrise ist gerade dieser Aspekt des Hitzeschutzes für alle Stadtbewohner*innen relevant. »In den Jahren 2022 bis 2024 sind 600 Menschen aufgrund von Hitze gestorben«, sagt Fehlenberg.
Deshalb fordert der BUND, dass Wohnungen woanders gebaut werden müssen – etwa auf Supermarktdächern oder auf ohnehin schon durch Asphalt, Beton, Pflastersteine oder andere Baustoffe versiegelte Flächen. Dazu hat der Umweltverband eine Kampagne zum Schutz aller noch verbliebenen Grünflächen in Berlin gestartet. »Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum. Aber wir kritisieren, wie gebaut wird«, sagt Fehlenberg. Neben Supermarktdächern und Parkplätzen gebe es in Berlin auch 1,7 Millionen Quadratmeter ungenutzte Büroflächen.
Wie wichtig der Schutz von Grünflächen ist, das drücken die Teilnehmer*innen der Veranstaltung in Treptow aus verschiedenen Perspektiven aus. Nadine Genrath von der Stiftung Naturschutz Berlin zum Beispiel macht sich für die hauptstädtischen Amphibien stark. Frösche, Molche und Kröten brauchen nämlich sowohl Kleingewässer als auch Rückzugsorte an Land. Im Dreieck Späthsfelde sind neben Teichfröschen und Molchen auch die geschützten Knoblauch- und Erdkröten gefunden worden.
»Vor allem zusammenhängende Grünflächen müssen erhalten bleiben und dürfen nicht zerschnitten werden«, sagt Genrath. Denn die Amphibien müssen wandern und zum Beispiel von ihren Laichgewässern in die Winterquartiere kommen. Die Kleingärten bilden eine wertvolle »Mosaik-Landschaft«, sagt Genrath. Dort können sich die Tierchen gut verstecken.
Doch Kleingärtner*innen und Umweltschützer*innen befürchten, dass eine große Straße mit Straßenbahn durch das neue Stadtquartier gebaut werden soll. Die Gruppe versammelt sich auf einem kleinen Wiesenweg, der zwischen den Kleingärten hindurchführt. Für eine Straße zwischen den Kleingärten ist hier kein Platz. Die Versiegelung von grünen Flächen durch den Straßen- und Wohnungsbau bereitet aber nicht nur den Menschen und Tieren an der Oberfläche Probleme. Auch das Grundwasser im Untergrund könnte durch die Bebauung negativ beeinflusst werden, warnt Christian Schweer vom Wassernetz Berlin.
»Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man noch nicht weiß, welche Folgen eine Versiegelung hat«, sagt Schweer. Denn versiegelte Flächen wie Straßen oder Parkplätze erwärmen sich stärker als unversiegelte Flächen. Das habe nicht nur Konsequenzen für die Temperatur an der Oberfläche, sondern auch metertief in den Boden hinein, sagt Schweer. Man habe bereits festgestellt, dass das Grundwasser im Dreieck Späthsfelde schon jetzt verhältnismäßig warm sei. Das habe Auswirkungen auf kleine Tiere und Mikroorganismen im Boden und im Wasser, die unter anderem das Wasser reinigten und den Boden durchlässig hielten. Schweer setzt sich dafür ein, dass die Temperatur des Grundwassers als ein Kriterium bei Bauvorhaben eingeführt wird.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung teilt auf nd-Anfrage mit, dass »grundsätzliche Untersuchungen zu Boden- und Grundwasserbelastungen sowie zum Wasserschutz« Teil der vorbereitenden Untersuchungen seien, ebenso wie »Themen der Ökologie, des Naturschutzes und der Biodiversität«. Man nehme für den verkehrlichen Anschluss des Gebiets »insbesondere die Anbindung an den schienengebundenen öffentlichen Nahverkehr in den Blick«. Die bisher vorgestellten Ideen »sehen eine zentrale Gebietserschließung vor«, so die Stadtentwicklungsverwaltung zur Frage einer geplanten Straße durch das Gebiet.
Die Späth’schen Baumschulen sollen als »identitätsstiftender Kern« in das neue Quartier integriert werden. Allerdings sollen auch »neue Nutzungen unter Berücksichtigung des Charakters der denkmalgeschützten Gebäude, Freianlagen und Gärten« entwickelt werden, so die Verwaltung. Auch die Kleingartenanlagen will der Senat im Quartier erhalten – ob das auf jeden der Gärten zutrifft, ist aber noch offen: »Konkrete Aussagen können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht getroffen werden. Bei erforderlichen Eingriffen soll ein Ersatzflächenkonzept erstellt werden«, so die Stadtentwicklungsverwaltung. Mit dem Abschluss der vorbereitenden Untersuchungen sei Ende 2027 zu rechnen.
Bis dahin und im Zweifelsfall darüber hinaus wollen die Gartenfreunde Berlin ihre Gärten verteidigen. »Wir müssen alle zusammenhalten und dagegen kämpfen, damit alle ihre Gärten behalten können«, sagt Ramona Schneider, Vorsitzende des Treptow-Köpenicker Bezirksverbands der Gartenfreunde, zwischen den eingezäunten Anlagen in Späthsfelde. Brigitte Blockhaus ist dabei. Sie gärtnert nicht nur auf ihrer eigenen Fläche im »Holunderbusch«, sondern kümmert sich auch um den Verbandsgarten und berät andere Gärtner*innen. »Ich habe Flyer verteilt und alle angesprochen, die ich kenne«, sagt sie zu »nd«. So setzt sie sich für den Erhalt der Kleingartenanlagen ein. »Ich hoffe, dass das hier zu einem guten Ergebnis führt.«
»Wir fordern, dass grüne Flächen nicht bebaut werden.«
Verena Fehlenberg BUND Berlin
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