Italien macht Draghi Probleme

Bereitet die Europäische Zentralbank den Ausstieg aus ihrem Anleihenkaufprogramm vor?

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 5 Min.

Leicht hat es Mario Draghi dieser Tage nicht. Eigentlich müsste der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) langsam den Geldhahn zudrehen. Wäre da nicht sein Heimatland Italien, das mit seiner neuen Regierung aus fremdenfeindlicher Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung für mächtig Trubel auf den Finanzmärkten sorgt. So rätseln Ökonomen und Analysten, was Draghi und seine Kollegen im EZB-Rat nach ihrer Sitzung diesen Donnerstag verkünden werden.

Für den Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, ist die Sache klar: Die EZB wird ankündigen, ihr Anleihenkaufprogramm einzustellen. Beim Konkurrenten Deutsche Bank ist man da nicht so sicher. »Ich gehe davon aus, dass ein Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik zum Jahresende angesichts der geopolitischen Lage erst in der Sitzung im Juli angekündigt wird - eine Überraschung in dieser Woche scheint aber nicht ausgeschlossen«, schrieb ein Analyst in seinem täglichen Rundbrief am Montag.

Seit März 2015 kauft die EZB im Rahmen ihres APP-Programms monatlich Anleihen in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages. Mittlerweile hat sie Wertpapiere im Volumen von fast 2,4 Billionen Euro in ihren Büchern. Was die Analysten so sicher macht, dass Draghi und Co. bald das Ende ihres Programms verkünden, ist die wieder anziehende Teuerungsrate. Zuletzt lag sie in der Eurozone im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 1,9 Prozent und damit auf dem Zielwert der EZB von knapp unter zwei Prozent.

»Unsere geldpolitische Strategie hat Früchte getragen«, verkündete vergangene Woche EZB-Direktoriumsmitglied Peter Praet in einer Rede, die Analysten genau verfolgten. Trotz einiger Dämpfer wegen Ängsten vor einem aufkommenden Handelsprotektionismus blieben die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets im Grunde stark, das Wachstum über dem Potenzial und die Stimmungsindikatoren in den meisten Sektoren und Ländern weiterhin deutlich über den langfristigen Durchschnittswerten.

Vor allem der sich erholende Arbeitsmarkt stimmt Praet optimistisch. Der Ökonom verwies darauf, dass die Zahl der Beschäftigten in der Währungsunion seit dem Höhepunkt der Eurokrise Mitte 2013 um acht Millionen zugenommen hat. »Auch die Arbeitslosenrate ist auf dem niedrigsten Stand seit fast acht Jahren.« Hinzu kommt dem Notenbanker zufolge, dass die verbesserte Lage auf dem Arbeitsmarkt höhere Löhne zur Folge hat. Vor allem die Verhandlungserfolge der Beschäftigten in Deutschland stellte er heraus.

Und diese haben letztlich Auswirkungen auf die Inflationsrate. Denn höhere Einkommen bedeuten eine höhere kaufkräftige Nachfrage und diese steigende Preise. Dies macht es wiederum wahrscheinlicher, dass die EZB bald mit dem Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik beginnt.

Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer führt einen weiteren Grund an, warum die EZB diesen Donnerstag das Ende des Anleihenkaufprogramms verkünden könnte: Sie könnte sich dazu gezwungen sehen, weil sie bereits zu viele Anleihen besitzt. Schließlich darf sie nach eigener Aussage nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen halten, um kein dominanter Gläubiger zu werden.

Wären da nicht die negativen Aussichten. »Die Situation in Italien lässt ein Wiederaufflammen der Eurokrise befürchten«, so der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, am Mittwoch in Berlin. Wegen des Handelsstreits zwischen den USA und der EU sowie der Unsicherheit über den Kurs der neuen italienischen Regierung senkte sein Institut die Prognose für das Wirtschaftswachstum in Deutschland ab. Dies dürfte den Forschern zufolge dieses Jahr nur noch 1,9 und nächstes Jahr 1,7 Prozent betragen, also um 0,5 beziehungsweise 0,2 Prozentpunkte kleiner sein, als noch im März angenommen. Sollte die italienische Regierung beschließen, dass das Land einen Teil seiner Schulden nicht zurückzahlt, so könnte das laut dem DIW den Euroraum in eine neue Krise stürzen.

Italien gilt schon seit längerem als Problem für die Eurozone. Vor einem Jahr griff der Staat mit einem milliardenschweren Rettungspaket maroden Banken unter die Arme und verstieß damit gegen die wichtigste Lehre aus der Finanzkrise: dass der Staat nie wieder Banken retten sollte. Zwar hält sich Italien seit 2012 an die Neuverschuldungsobergrenze von Maastricht von jährlich maximal drei Prozent, doch wird die Schuldenquote, die den Schuldenstand im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt misst, mit fast 132 Prozent nur von Griechenland (178,6 Prozent) übertroffen. Der Grund hierfür liegt vor allem in der schwachen Entwicklung der Wirtschaft. Sparmaßnahmen während der Eurokrise würgten wie in anderen angeschlagenen Ländern die Wirtschaftsleistung ab und ließen die Arbeitslosigkeit in die Höhe schießen. So liegt die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf in Italien heute noch um acht Prozent niedriger als vor der Finanzkrise.

Zwar bekennt sich Italiens neuer Finanzministers Giovanni Tria mittlerweile zum Euro, doch haben so manche Äußerungen seitens der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung bereits für Unruhe auf den Finanzmärkten gesorgt. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen beider Parteien, die auch linke Ökonomen für unrealistisch halten, tragen ihren Teil dazu bei, dass Analysten skeptisch sind, dass in Zukunft alles glatt laufen wird. So manch einer meint nun, dass nur die EZB eine neue Staatsschuldenkrise verhindern könne.

So zielte die Zentralbank während der Krise mit ihren Anleihenkaufprogrammen vor allem darauf ab, die Finanzierungskosten der Euroländer zu senken. Weil Investoren damals auf eine Pleite der Krisenländer wetteten, schossen die Zinsen, die die Krisenstaaten für frisches Geld auf den Kapitalmärkten zahlen mussten, in die Höhe. Und auch jetzt muss Italien wieder höhere Zinsen zahlen.

Folglich rechnet auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer damit, dass die EZB zumindest in nächster Zeit nicht den Leitzins anfassen wird, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank frisches Geld leihen können. Dieser liegt schon seit längerem bei historisch niedrigen null Prozent. »Die EZB wird die Zinsen nicht vor Sommer 2019 erhöhen«, meinte Krämer. »Und sie wird alles daran setzen, dies nicht als Beginn eines klassischen Zinserhöhungszyklus darzustellen.«

Will heißen: Draghi und seine Kollegen im EZB-Rat werden nur ganz, ganz vorsichtig den Geldhahn zudrehen. Wenn sie sich in nächster Zeit überhaupt dazu entschließen.

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