Eine nationale Wesensart?

Der Psychoanalytiker Andreas Ploeger über die »Dominanz des Machterlebens« der Deutschen

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 4 Min.

Für Historiker, die nach den Wirkungsmöglichkeiten des deutschen Faschismus fragen und sich mit dem Massenanhang der NSDAP befassen, bringen oftmals jene Publikationen Gewinn, in denen Psychologen mit den Mitteln ihrer Wissenschaftsdisziplin Antworten zu geben versuchen. Lohnend ist da ein Blick in das legendäre Buch »Die Massenpsychologie des Faschismus« von Wilhelm Reich, ebenso auf die Arbeiten von Erich Fromm, Theodor Adorno, Max Horkheimer oder die von Alexander und Margarete Mitscherlich.

Keineswegs zufällig kamen in den letzten Jahren, in den Zeiten wachsender gesellschaftlicher Krisen, mehrere Bücher auf den Markt, die nach der großen Berliner Ausstellung »Hitler und die Deutschen« (2010) Denkweisen und Verhaltensformen jubelnder, das braune Regime stützender Menschen darstellen und erklären wollen. Vor allem wurde der rassistisch geprägte und propagandistisch ausgeschlachtete Begriff der »nationalsozialistischen Volksgemeinschaft« ins Visier genommen (Michael Wildt, Detlef Schmiechen-Ackermann und andere). Für eine neue Taschenbuchreihe unter dem Titel »Die Deutschen und der Nationalsozialismus« (C. H. Beck) schrieb Dieter Süß über »Ein Volk, ein Reich, ein Führer«; angekündigt ist vom Verlag für 2019 von Sybille Steinbacher das Buch »›Dass ihr mich gefunden habt’‹. Hitlers Weg zur Macht«. Und bereits 2007 fragte Stefan Marks: »Warum folgten sie Hitler? Die Psychologie des Nationalsozialismus«. Leser dieser Zeitung werden vor allem den aufschlussreichen und empfehlenswerten Band »Gefolgschaft hinterm Hakenkreuz« des leider 2016 verstorbenen marxistischen Historikers Kurt Pätzold zur Kenntnis genommen haben.

Drei Problemkomplexe sind es jedoch, die in der Regel den historischen Erkenntnisgewinn psychologisch angelegter Forschungen begrenzen: Zumeist erfolgt - ob absichtlich oder unbewusst - eine Relativierung der ausgeübten Macht. Aus dem Blickfeld geraten zweitens jene, in deren Interesse Macht ausgeübt worden ist. Und drittens heißt es fast immer pauschal: »die« Deutschen. Da mag der oft erhobene Vorwurf einer Psychologisierung der Geschichte durchaus zutreffen. Diesen kann man auch dem Band des renommierten, in diesem Jahr verstorbenen Aachener Psychiatrieprofessor Andreas Ploeger (geboren 1926) machen, der sein Buch ausdrücklich gegen Krieg und gegenwärtig erstarkende nationalistische Strömungen geschrieben haben will. Persönlich Erlebtes sieht sich gekoppelt mit Ergebnissen seiner wissenschaftlicher Arbeit, gewonnen unter anderem bei der Betreuung von Opfern in extremer Lebensbedrohung.

Mit Repression, Gewalt und Androhung des Todes habe die Hitler-Diktatur eine bereits zuvor vorhandene individuelle Neigung der Deutschen stimuliert, »Unterwerfungsbereitschaft« wie auch »Streben nach Macht«. In erster Linie sei, so Ploeger, nicht nach dem autoritären Charakter Hitlers, sondern nach solchen Eigenschaften bzw. seelischen Dispositionen der Deutschen zu suchen, welche die Katastrophe erst möglich machten.

Die von ihm beschriebene »Struktureigentümlichkeit« sei seit 1945 zwar gemindert, aber unter den Deutschen dennoch weit verbreitet. Für Ploeger stellt sich die »Dominanz des Machterlebens« als eine Eigenschaft dar, die aus der Spannung zwischen dem Leben unter extremer Strafandrohung einerseits und dem Angebot einer das individuelle Machtstreben befriedigenden Ideologie andererseits erwachse, kulminierend im Prinzip: »Wer gehorcht, darf auch befehlen« oder: »Nach oben buckeln und nach unten treten«.

»Die Beziehung zu anderen Menschen wird damit ausschließlich oder vorwiegend durch die hierdurch erlebte Unterlegenheit bzw. Überlegenheit gegenüber diesen anderen bestimmt. Angst auf der unteren und Machtgefühl auf der oberen Seite sind dabei die emotionalen Korrelate.« Oder anders formuliert: »Angst vor oben« und »Machteifer gegen unten«.

So stimmig alles im Einzelnen in diesem Buch auch sein mag, es wird unstimmig in der durchgängigen Verabsolutierung. Und es führt bei der Deutung des historischen Geschehens in die Irre, wenn Ploeger beispielsweise das ausgedehnte System der Gliederungen und angeschlossenen Verbände der NSDAP als das Ergebnis der »Dominanz des Machterlebens« betrachtet. Ebenso wenn es heißt, das Ende der Weimarer Republik sei auf das als antidemokratisch charakterisierte Prinzip dominanten Machterlebens zurückzuführen. Zwar beruft sich der Autor mitunter auf Historiker, aus deren Zunft für ihn jedoch Guido Knopp herausragt. Begrenzt bleibt der Blick auf die Wurzeln autoritärer Persönlichkeitsstrukturen, die allein aus frühkindlichen Familienverhältnissen abgeleitet werden, wobei das Erleben in der Arbeitswelt völlig unbeachtet bleibt. Davor, dass es in der kapitalistischen Wirtschaft autoritär, ja sogar diktatorisch zugeht, sollte eigentlich keiner die Augen verschließen können.

Um zu verhindern, dass sich eine Katastrophe vergleichbar der Hitler-Diktatur wiederholt, setzt Ploeger eine »Umstrukturierung der deutschen Wesensart voraus«. Es gelte, gegen die »Dominanz des Machterlebens« zwischenmenschliche Motive zu stärken, wie etwa »Offenheit, Akzeptanz, Einfühlungsgabe, Gerechtigkeitssinn, Mitteilungs- und Wahrnehmungsbereitschaft, Vertrauen und ganz allgemein ein freundliches Akzeptieren und eine zur hilfreichen Kommunikation bereite Zwischenmenschlichkeit«. Vorzusorgen sei mit einer entsprechenden »Erziehung und Sozialisation in Kindheit und Jugend«. Zweifellos eine hehre, wohlklingende Forderung, doch lässt sich Geschichte punktuell vom Sinnen und Trachten der Deutschen her interpretieren? Und: Kann sich die Welt derart wirklich von profitorientierten Mächtigen und von Kriegen befreit werden?

Andres Ploeger: Gewalt und Gehorsam. Die Dominanz des Machterlebens der Deutschen unter Hitler. Ein Buch gegen den Krieg. Verlag Schattauer, 308 S., geb., 24,99 €.

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