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Siegen am Ball oder dienen am Gewehr

Südkoreas Star Son Heung-Min kann nur eine starke WM oder ein Sieg bei den Asienspielen von der Wehrpflicht retten

  • Daniel Theweleit, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

So eine Weltmeisterschaft ist eigentlich für jeden Fußballer der große Jahreshöhepunkt. Der Moment, der einer Karriere neue Richtungen geben kann, in dem Helden geboren werden. Und selbstverständlich misst auch Son Heung-Min dem Turnier in Russland eine große Bedeutung zu. Der für die Lebensplanung des Angreifers noch wichtigere Wettbewerb steht jedoch erst im August an - zumindest wenn Son mit seinen südkoreanischen Teamkollegen nicht am heutigen Nachmittag Deutschland besiegt, durch eine günstige Tabellenkonstellation ins Achtelfinale einzieht und anschließend noch einige Runden weiterkommt.

In Südkorea muss jeder Mann vor seinem 28. Geburtstag einen 21-monatigen Militärdienst absolvieren, Ausnahmen sind nur für Sportler möglich, die ihrem Land bei internationalen Großveranstaltungen zu Ruhm und Ehre verholfen haben. Jene Fußballer, die 2002 ins WM-Halbfinale einzogen, wurden ebenso von ihrer Pflicht befreit wie Athleten, die große Titel gewannen. Bei den Asienspielen im August kann Son das mit dem Nationalteam schaffen. Wenn nicht, müsste der 25-Jährige seine Karriere womöglich unterbrechen und seine besten Fußballerjahre unter militärischem Drill in einer Kaserne verbringen.

»Über dieses Thema spreche ich sehr ungern«, wird Son in einem zur WM erschienenen Porträt im »Time«-Magazin zitiert. Es ist nicht nur ein Schatten über seiner Zukunft, der Einfluss auf den eigenen Marktwert hat, also auf seine Verhandlungsposition, wenn es um den nächsten Arbeitsvertrag geht. Der Militärdienst ist in der Tat ein heikler Punkt, denn wenn Berühmtheiten ihre Wehrpflicht umgehen wollen, drohen Skandale von nationalem Ausmaß. Dies zeigte das Beispiel des K-Popstars Steve Yoo, der dem Militärdienst entkam, indem er US-Bürger wurde. Seither darf der Musiker nicht mehr nach Südkorea einreisen. Nie zuvor wurde ein Koreaner derart für einen Nationalitätswechsel bestraft.

Es wäre auch ein einmaliger Vorgang, würde ein Spieler der Qualität Sons tatsächlich durch das Militär von seinem Sport abgehalten. Der ehemalige Bundesligastürmer hat sich bei Tottenham Hotspur zum vermutlich besten Fußballer Asiens entwickelt. 18 Tore und sechs Torvorlagen hat er in der vorigen Saison zum Erfolg von Tottenham beigetragen. Insgesamt sind ihm in 90 Premier-League-Partien 30 Treffer gelungen, Spitzenwert für einen Flügelstürmer. Wobei diese hervorragenden Statistiken oft übersehen werden. »Er hat das gleiche Problem wie die Spieler, die zwar viel Anerkennung verdienen, aber neben Cristiano Ronaldo spielen«, sagt sein Klubtrainer Mauricio Pochettino. »Bei uns bekommt nun mal Harry Kane die dicken Schlagzeilen.« Der Stoßstürmer ist derzeit Englands größter Liebling, doch in Korea ist Son der Superstar.

Mehrfach wurden ihm Beziehungen mit irgendwelchen Sternchen aus dem Showbusiness nachgesagt; sobald er in Seoul auftaucht, bricht Chaos aus. Dafür kann er in Europa einigermaßen unbehelligt durch die Straßen laufen. »Wenn die Leute mich sehen, denken sie: Ein Asiate eben, die sehen sowieso alle gleich aus«, erzählte er einmal. In Korea streift er dagegen schon mal eine Mundschutzmaske über, um unerkannt zu bleiben. Pragmatismus in schwierigen Momenten war schon immer ein besonderes Talent dieses Fußballers.

Son ist eines dieser Wunderkinder, die vom Ehrgeiz eines unerbittlichen Vaters geformt wurden. »Früher war das sehr schlimm«, gestand Son einst, »mein Vater hat selbst Fußball gespielt, und er hat es nicht so richtig geschafft. Er wollte, dass ich es besser mache, deshalb hat er mich sehr viel kritisiert.« Mit eiserner Disziplin wurde an Technik und Physis gefeilt, oft musste sich Son junior selbst erinnern: »Wenn ich meinen Traum erreichen will, muss ich das durchziehen.«

Heute sei er seinem Mentor sehr dankbar, sagt er. »Ohne meinen Vater wäre ich nicht der Spieler geworden, der ich heute bin.« Mit 16 wurde er im Jungendinternat des Hamburger SV untergebracht - ein Kulturschock, aber der Teenager biss sich durch. Son ging nach Leverkusen, von wo er 2016 für 30 Millionen Euro nach London verkauft wurde. Mit einem Streik hatte er den Transfer quasi erzwungen. »Ich bin sehr enttäuscht von ihm, geschockt und überrascht«, sagte Bayer-Stürmer Stefan Kießling damals über das plötzliche Verschwinden des Kollegen.

Auch diese Aktion schreiben die Leverkusener mittlerweile dem Vater zu, denn eigentlich erobert Son überall, wo er hinkommt, Herzen. Tottenhams Anhänger singen leicht abgewandelt den Beatles-Klassiker »Here comes the Son«, wenn sie ihren Spieler feiern, auch weil dieser Mann fast immer zu lächeln scheint.

Tatsächlich hält er sich für ein Glückskind. »Ich lebe meinen Traum. Ich bin so froh, in der Premier League zu spielen, ich liebe Fußball und ich liebe harte Arbeit, das macht mein Leben perfekt«, sagt er. Sollte Son mit den Südkoreanern an diesem Mittwoch Deutschland aus dem Turnier befördern, würde ihm das in England sicher noch einmal neue Anerkennung bescheren. Für das Problem mit dem Militärdienst werden aber wohl noch weitere Heldentaten nötig sein.

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