Über Fabrik und Schacht hinaus

Ausstellung in Schwerin: Kunst in der DDR war weit mehr als sozialistischer Realismus

  • Hagen Jung, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Blick des Ergrauten auf dem Gemälde »Der Parteiveteran« geht in die Ferne. Guter Anzug, rote Orden auf dem Revers, Blumen auf dem Tisch - ein Jubiläumstag? Dafür spricht auch der Blick des ganz im Stil einstiger Staatskunst 1955 porträtierten Rentners. Er schaut ins Weite, zu Erinnerungen, denkt vielleicht an antifaschistische Aktionen zur Nazizeit, den hoffnungsvollen Aufbau eines anderen Deutschlands. Im Staatlichen Museum Schwerin blickt der alte Mann jetzt in einen Saal, in dem Schriftwände daran erinnern, welchen Horizont Kunstschaffende in der noch jungen DDR nicht überschreiten sollten. Grenzlinien, die etwa Walter Ulbricht zog in seiner harschen Absage an abstrakte Bilder oder sein ZK-Genosse Kurt Hager, der noch 1972 postulierte: »Der Sozialismus bedarf einer Kunst, die fest auf der Wirklichkeit gegründet ist.«

Wie und vom wem solche Schranken in über vier Jahrzehnten immer weiter überwunden wurden, zeigt die Sonderausstellung im Neubautrakt des Museums. Ihr Titel »Hinter dem Horizont« verweist auf den Schwerpunkt der aus dem Fundus geholten Exponate: auf Werke jenseits staatlicher Auftragskunst. Auch sie fehlt nicht in Schwerin: Arbeiter beim Bau der Berliner Stalinallee, 1952 von Hedwig Holtz-Sommer gemalt, sind ebenso zu sehen wie die »Jugendbrigade im Aufbruch«, ein Bild von Carl Hinrichs aus dem Jahr 1962, oder das Gemälde »Fischer und Studenten«, mit dem Konrad Homberg 1963 das gute Miteinander von Menschen »an Hammer und Zirkel« dokumentierte, ganz im Stil des sozialistischen Realismus.

Auf ihn wird DDR-Kunst nicht selten in Gesprächen über kulturelles Schaffen reduziert, vor allem von vielen, die das Deutschland östlich der Elbe noch nicht lange oder zu wenig kennen und sich von monumentalen Wandbildern mit wackeren Werktätigen in Fabriken und Schacht in derartigen Vorurteilen bestätigen lassen. Sie kann die Schweriner Ausstellung zerstreuen. Und sie widerlegt Schmähungen, wie sie DDR-Künstlern etwa von ihrem 1958 im Westen gebliebenen Kollegen, dem Maler Georg Baselitz, vor Jahren zuteil wurden.

Will »Hinter dem Horizont« doch zeigen, dass es »jenseits verordneten Staatskunst ein breites Spektrum künstlerischer Positionen gab«, so die Intention des Museumsteams. Gut 120 Werke hat es aus seinem reichen DDR-Fundus ausgewählt: Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Plastiken von 51 Künstlerinnen und Künstlern. In sieben Abteilungen, von Auftragskunst über Klassische Moderne und Abstraktion bis zu Fotografie und Performance präsentieren sich die Exponate. Eines der bekanntesten Stücke ist wohl das 1970 entstandene Gemälde »Schwebendes Liebespaar« von Wolfgang Mattheuer. So wie er ist auch Thomas Ziegler vielen kulturell Interessierten vertraut. Er ist in Schwerin mit seinen vier sowjetischen Soldaten vertreten; 1987 gemalte, sich ohne jede militärische, geschweige denn heldenhafte Attitüde zeigende uniformierte Menschen.

Wie der Bildhauer Wieland Förster das Menschliche in seinen Plastiken Gestalt annehmen lässt, erfahren die Besucher der Ausstellung zum Beispiel an seiner Arbeit »Gefolterter«, die er 1975 dem verstorbenen chilenischen Antifaschisten Pablo Neruda widmete. Und das Thema »Sinnlichkeit«, im Museum vor allem in Grafiken präsent, bereichert Förster mit der Skulptur »Paar« - Mann und Frau in der intimen Begegnung. Und auch dieses Werk ist etwas »ganz Anderes« als die einst verordnete realistische Darstellung des Menschen, wie sie der sogenannte »Bitterfelder Weg« vor Jahrzehnten verlangte.

»Ganz anders« als so viele Bilder Rosa Luxemburgs erscheint auch »Die Rosa« im Gemälde von Heidrun Hegewald. Geschaffen hatte sie es 1987 im Auftrag des Kulturministeriums. Wohlgefallen fand das Werk nicht bei der Staatsführung; sie wollte es nicht haben, gab es nach Schwerin. »Die Rosa« - sie soll den Funktionären zu düster, mit zu viel Schwarz gemalt worden sein, heißt es - blickt jetzt aus ihrem Rahmen in der Ausstellung auf eine zu den Exponaten zählende Postkarte. Sie hat der Ostberliner Maler und Grafiker Robert Rehfeld 1981 mit einem einzigen Satz versehen: »Kunst heute ist grenzenlos«.

Ausstellung »Hinter dem Horizont« noch bis zum 7. Oktober im Staatlichen Museum Schwerin, Alter Garten 3. Denstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr.

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