Globale Nöte der Jetztwelt

LuzinTheater Wittenhagen: «Der Spielmeister» und die Ausstellung «Blutendes Gold» von Volkmar Förster

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Werbeplakat zeigt ein Totengerippe, gehüllt in mannshohe Baumblätter, weiße Blümchen leuchten vor schwarzem Hintergrund. Oben der Totenkopf eines «Negers». Volkmar Förster schuf es für seine Ausstellung «Blutendes Gold». Die Abbildung weist in das sagenumwobene Nibelungenlied, jenes Heldenepos, das zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Mittelhochdeutsch niedergeschrieben wurde und fortan Historiker, Literaten, Maler, Musiker fesselte. Richard Wagners «Ring des Nibelungen» ist das berühmteste Beispiel hierfür.

In der Sage befehden Königshäuser einander, Liebes- und Racheschwüre kursieren. Höfische Abkömmlinge werden gezwungen, nach Regeln der Erbfolge und territorialen Interessen ihrer Väter zu heiraten. Ungeahnte Träume blenden die Sinne, Morde geschehen auf Schlössern und Burgen Europas. Verwerfungen allerorten. Spannend das Epos und allemal passend in die globalen Nöte der Jetztwelt.

Volkmar Försters bildnerische Paraphrase auf das Lied der Nibelungen zeigt derzeit das LuzinTheater in Wittenhagen (bei Feldberg/Mecklenburg). Die neu gegründete Spielstätte (seit 2017) unter der Schauspielerin Sylvia Brettschneider und Regisseur Alejandro Quintana setzte nach Aufführungen von Goethes «Reineke Fuchs» und Aristophanes’ «Lysistrata» mit «Blutendes Gold» wiederum einen gewichtigen Akzent. Zur Eröffnung vor wenigen Wochen durften die Zuschauer die Ausstellung mit zugefügten Spielelementen erleben. Titel: «Der Spielmeister - Frei nach dem Nibelungenlied». Europäische Problematik kam in den Fokus. Volkmar Förster betätigte sich als genrebewusster Puppen- und Schattenspieler, begleitet von Schauspieler Dietmar Huhn und Musiker Frank Petzold.

Die Eröffnung in dem kleinen Saal war ausgebucht. Um Bühne und Sitzreihen herum an den Wänden Bilder, Grafiken, Zeichnungen, verschiedenste Formate, thematisch geordnet. Ein Komplex heißt «Falkenwand». Das Traumgebilde symbolisiert die Kämpfe der Menschen als Auseinandersetzung zwischen Adler und Falke. Sichtbar der Falke in unikalen Stellungen, allseitig betrachtet, mal klein, mal etwas mächtig, ansichtig von vorn, von hinten oder im Profil, in Ruheposition, flügelschlagend. Ein so schönes wie stolzes, ängstliches Tier. Wunderbar anzuschauen diese Wand, mit viel Verve kreiert, im Einzelnen wie im Ganzen. Auch die übrigen Bildwerke sind von erstaunlicher Farb- und Ausdruckskraft.

Volkmar Förster, 1939 in Chemnitz geboren, malt und zeichnet gleichermaßen, kreiert Grafiken und Plakate, ritzt Schnitte und Drucke auf Linoleum, Holz und anderen Materialien. Alle Techniken, alte wie neue, verwendet er. Gelernt hat sie der Meister bei seinem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und natürlich in eigener unaufhörlicher Lerntätigkeit. Als Bühnen- und Kostümbildner arbeitete Förster sodann an Theatern in Schwerin, Magdeburg und Halle. Periodisch zeigt er seine besten Werke hierzulande und im Ausland. Auch privat zog es ihn durch die Lande. Von Eschenbach im Vogtland übersiedelte er 2009 nach Banzow in Mecklenburg. Jetzt wohnt und arbeitet er im uckermärkischen Funkenhagen. Seit Längerem beschäftigt den Künstler der Nibelungen-Stoff.

Eine Mixtur verschiedener Ausdrucksweisen, spannend kombiniert, bewegte das Puppen- und Schattenspiel. Hinterm Vorhang der Künstler selbst mit Strohhut, Brille, luftigem Seidenschal, Schnauzbart, so ernstem wie frechem Blick. Einer assistierte ihm. Da treten zu Beginn zwei Figuren aus Stoff und Draht langsam vors Licht. Klar erkennbar Konturen von Frau und Mann. Ihre Schatten nähern einander und vereinigen sich. Plötzlich löst sich das Kopfgeflecht der Dame und segelt wie der freie Vogel durch die Luft.

Was die Schattenrisse andeuten, korrespondiert mit Motiven von Bildern, die an den Wänden hängen. Ins Spiel kommt jene Serie der Liebes- und Hochzeitsbilder, welche die Ausstellung zeigt, darunter Arbeiten gewalttätiger Erotik. Krimhild und Siegfried verkörpern das ideale Paar, Brünhild vom konkurrierenden Geschlecht wird indes mit Gunther zwangsverheiratet. Eine Doppelhochzeit findet statt. Brünhild verweigert sich jedoch in der Hochzeitsnacht dem Gunther, der nach ihrem Willen gefesselt an der Decke hängt. Hernach vergewaltigt ihr Gatte sie im Beisein Siegfrieds, den eine Tarnkappe schützt. Jenes verhängnisvolle Ding, baumelnd wie ein Büstenhalter, dient schließlich Brünhild als Beweisstück, ihn als Handlanger anzuklagen. Nicht selten komisch die Erzählperspektive solcher Vorgänge.

«Er muss weg!», ruft der Schauspieler Dietmar Huhn laut in den Saal, begleitet von kakophonischen Klavierklängen, und kündigt damit den Tod des Siegfried an. Was tut die Witwe Krimhild? Sie nimmt blutige, den Kontinent vernichtende Rache, was Frank Petzold dazu animierte, etwas kläglich wirkende elektronische Klänge in den Raum zu senden. Krimhild lädt folgerichtig die Schuldigen und deren Familien aus den Machtzentren Europas zu sich ein und lässt sie töten. Dergleichen steht heute dem geheiligten Europa noch bevor, wenn die Dinge weiter so laufen wie bisher. Das LuzinTheater gab auf tragikomische Weise einen Vorgeschmack darauf.

LuzinTheater, Zansenweg 4, 17258 Feldberger Seenlandschaft/OT Wittenhagen. Die Ausstellung «Blutendes Gold von Volkmar Förster ist noch bis zum 26. Juli zu sehen.

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