»Ideologiekritische Nazi-Zombies«

Der Streit um die Einladung eines islamfeindlichen Referenten sorgt immer noch für Wirbel in der Leipziger Linken

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 8 Min.

Auch Wochen später ist es immer noch das dominierende Gesprächsthema in der linken Szene in Leipzig: Die Einladung eines selbsternannten »Islamhassers« durch das linke und selbstverwaltete Zentrum Conne Island. Der Hintergrund: Eine Veranstaltungsreihe in Leipzig wollte sich anlässlich des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels der Aufklärung über den auf Israel bezogenen Antisemitismus widmen. Geplant waren Vorträge zur »Kibbuzbewegung in Israel«, der »Kritischen Theorie des Antizionismus« und eine Veranstaltung mit dem Titel »Zur Kritik des islamischen Antisemitismus und seiner Bagatellisierung«.

Bei letzterer Veranstaltung sollte ein Redakteur der Zeitschrift »Bahamas«, Thomas Maul, referieren. Ein Statement von ihm, in dem er die AfD als » objektiv einzige Stimme der Restvernunft im Deutschen Bundestag « bezeichnete, führte zur Kündigung der Räume für die Veranstaltung durch die Universität Leipzig. Das Conne Island sprang kurzfristig ein. Und sorgte damit für eine hitzige Debatte in der linken Szene in Leipzig.

Maul wurde Islamfeindlichkeit, Frauenhass und die Hofierung der AfD vorgeworfen. Andere sahen die Kritik an Maul sinnbildlich dafür, dass sich die Linke nicht mit den Gefahren des Islams auseinandersetzen wolle. Das »nd« berichtete über die Vorfälle. Ein Statement vom Conne Island und ein ominöser Boykott-Aufruf gegen das linke Zentrum heizen die Debatte nun weiter an.

Das Sitzfleisch der Einen

In dem linken Zentrum werden die meisten Belange auf dem Plenum geklärt. Da kann es schon mal krachen und zu langen Diskussionen kommen. Wie auch nach der Veranstaltung mit dem umstrittenen Thomas Maul. Die Entscheidung, den Redakteur einzuladen, fiel in einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung. Es musste schnell gehen, sagen diejenigen, die den Referenten einladen wollten. Die Universität Leipzig hatte die zugesagten Räume kurzfristig wieder abgesagt, aus Protest gegen das Statement von Maul.

Das sei kein basisdemokratischer Vorgang gewesen, kritisieren die anderen. Ein Teil des Conne Island Plenums hätte die Veranstaltung mit Maul auch gerne verhindert. Aber durch die Mitorganisation der Veranstaltungsreihe »70 Jahre Israel«, die man im Plenum beschlossen habe, sei man verpflichtet gewesen, nach der Absage der Räume durch die Universität Leipzig Alternativen zu bieten, meinen die Befürworter Mauls. Da habe es keinen neuen Plenarbeschluss gebraucht.

Die Gegner der Veranstaltung kritisieren, die Gegenseite verstecke sich hinter technischen Argumentationen, scheue die inhaltliche Debatte um Thomas Maul. Dessen Frauenfeindlichkeit und Islamhass seien nicht zu rechtfertigen. Außerdem habe er kein Verständnis vom Antisemitismus der AfD. Schließlich gebe es Lippenbekenntnisse von allen Parteien zum Staat Israel. Aber man dürfe doch nicht so blöd sein, diese einfach für bare Münze zu nehmen.

von Storch und die Finanzglobalisten

Die AfD hat tatsächlich ein durchaus schwieriges Verhältnis zu der Frage. Sie inszeniert sich gerne als judenfreundliche Partei. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch mahnte in einer Rede im Deutschen Bundestag vor wachsendem Antisemitismus und verwies auf die Situation in Frankreich. Von dort seien seit 2006 rund 40.000 Juden nach Israel ausgewandert. »Das sind Flüchtlinge, über die niemand spricht, weil sie vor Muslimen flüchten«, meint von Storch und fügt hinzu: »Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere westliche Zivilisation.«

Was sie nicht sagt: Zusammen mit ihrem Mann betreibt sie das Onlineportal: »Freie Welt«. Über den jüdischen Investor und Philantroph George Soros kann man dort lesen, er sei ein »international tätiger Strippenzieher«, der sich in Wahlen und Konflikte in der ganzen Welt einmische. Und der neue französische Präsident, »Ex-Rothschild-Banker«, »löst Merkel als Hauptmarionette der Finanzglobalisten ab«. Geht es noch antisemitischer?

Das Plenum des Conne Island beschloss nach langer Diskussion schließlich, ein gemeinsames Statement zu veröffentlichen. Auch um dieses wurde gestritten und gerungen. Zwischendurch soll es schärfere Varianten gegeben haben, mit einer Kritik an dem Referenten Maul. Der Text, der sich am Ende durchgesetzt hat, ist dem gegenüber ziemlich verwaschen und enthält keine Distanzierung zu Maul. »Am Ende hatten die Hardliner das größere Sitzfleisch«, verrät ein Teilnehmer des Plenums frustriert.

Linke Gewissheiten?

Juliane Nagel von der LINKEN kritisierte das Statement jüngst als »feige«. Das Conne Island hat es versäumt, sich zu distanzieren. Eine solche »Nicht-Positionierung« zu Thomas Maul und seiner »AfD-Verharmlosung« stehe im ganz offensichtlichen Widerspruch zu dem Selbstbekenntnis zu Feminismus, Antifaschismus und Israelsolidarität, die das Conne Island vor sich hertrage.

Auch das Statement der Initiative, die die Veranstaltungsreihe organisiert hat, liest sich mehr wie eine kulturwissenschaftliche Hausarbeit als wie eine klare politische Stellungsnahme. Anders ein interner Brief des Roten Salons, der dem »nd« vorliegt. Der rote Salon ist ein Kollektiv, das regelmäßig Veranstaltungen organisiert und Beiträge für die Zeitung »Jungle World« verfasst. In dem Schreiben bedankt sich die Gruppe beim Conne Island für dessen Haltung und den Versuch, »linke Gewissheiten zu hinterfragen«.

Zu der Personalie Thomas Maul sei man zwar geteilter Meinung, aber man habe das Gefühl, »die ganze ostentative Aufregung diene dazu, über die Probleme der Einwanderungsgesellschaft nicht reden zu müssen und den eigenen ideologischen Heiligenschein bewahren zu können«.

Über die Probleme der Einwanderungsgesellschaft nicht reden zu müssen – dass sind tatsächlich ungewohnte Töne aus einem linken Zentrum. Das findet auch eine Initiative, die das linke Zentrum boykottieren will. »Das Conne Island gibt Referenten eine Bühne, die dort die AfD abfeiern, gegen ‚Linkskartelle‘ wettern und im Jargon der Neuen Rechten gegen den Islam hetzen«, schreibt die »Initiative für eine linke Gegenkultur«. Gegenüber »nd« erzählen die Initiatoren der Kampagne, sie würden Künstler anschreiben und ihnen davon abraten, im Conne Island aufzutreten.

Ein Boykottaufruf und die Probleme der Einwanderungsgesellschaft

Das Feedback sei gemischt, viele Künstler halten die von der Initiative geschilderte politische Situation schlicht für »aberwitzig«. Aber es gebe auch Zuspruch, gerade aus der Punkszene. Die Initiative wirbt neben einem Boykott auch für die Streichung der Fördergelder für das Conne Island. Eine Forderung, die davor auch die CDU und die AfD erhoben haben. In Leipzig ist man unschlüssig, woher die Initiative kommt. Aber aus der Kulturszene der eigenen Stadt nicht, da ist man sich sicher. Auf schriftliche Nachfrage von »nd« äußert sich die Kampagne zu bestimmten Themen, lässt aber die Fragen zu Herkunft und politischem Hintergrund der Initiative aus.

Der ideologische Streit um die Frage von Israel-Solidarität geht derweil an anderer Front weiter. Dem in Leipzig etablierten und von Attac organisierten Filmfestival GlobaLE wurden die Fördergelder durch die studentische Selbstverwaltung der Universität Leipzig gestrichen. Ein Stura-Mitglied hatte das beantragt. Der Grund: Die Förderung des Festivals würde gegen den Beschluss »Gegen jeden Antisemitismus« aus dem Jahr 2015 verstoßen.

Besonders zwei Filme stehen in der Kritik: In »Milliarden für den Stillstand – Die Rolle der EU im Nahostkonflikt« werde »Israel bewusst als Wasser raubenden Aggressor im Nahen Osten« dargestellt. Die Dokumentation »This is a Coup« über die Auswirkungen der europäischen Austeritätspolitik in Griechenland komme »nicht ohne die Konstruktion des Feindbildes ›böser Bänker‹ aus«.

Snowflakes und ideologiekritische Nazi-Zombies

Auch einer der Organisatoren des Festivals, Mike Nagler, steht zum wiederholten Male in der Kritik. Die Debatte um seine Position hat sich vor allem an seiner Teilnahme an den montaglichen Friedensmahnwachen 2014 entfacht. Nagler hat nach eigenen Angaben versucht, dort linke Positionen zu stärken. Gegenüber »nd« meint er, einige »wortführende« Leute aus der »antideutschen« Szene hätten im Studentenrat der Universität Leipzig die Referentenposten besetzt. Ein großer Teil des Plenums könne mit der Debatte nicht viel anfangen, sei aber durch den Antisemitismusvorwurf erst einmal »ruhiggestellt und verunsichert«.

Und Maul selber? Der schwebt wohl irgendwo zwischen amüsiert und völlig überfordert. Auf seiner Facebookseite provoziert er mit der Übernahme rechter Vokabeln, bezeichnet beispielsweise Linke als »Snowflakes«, ein Begriff, der vor allem von der amerikanischen Alt-Right Bewegung geprägt wurde, und veröffentlicht »Listen« von einem »Bund dummer Mädel« (unter anderem mit Jutta Ditfurth, Paula Irmschler und Juliane Nagel).

Neben seinen islamophoben Texten bietet er hier die größte Angriffsfläche für seine Kritiker. Ein Text, der sich mit den »Abgründen des maulschen Antifeminismus« beschäftigt, diagnostiziert ihm, in einer »grundsätzlich herablassenden und sexistischen« Weise über Frauen zu schreiben und bezeichnet den »Bahamas«-Mann schließlich in Anlehnung an eine Maulsche Diffamierung der Critical-Whiteness Bewegung als »ideologiekritischen Nazi-Zombie«.

Im Conne Island herrscht derweil ein kurzer Burgfrieden. Bis zum nächsten Mal, wenn eine strittige Personalie eingeladen wird. Möglichkeiten gäbe es dafür genug, glaubt ein Teilnehmer des Conne Island-Plenums. »Dann fliegt uns der Laden wieder um die Ohren.« Und die Debatte darüber, wie weit nach rechts linke Positionen driften dürfen, beginnt von Neuem.

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