Zu wenig, zu spät - und das Falsche

Das Leben in der Stadt wird immer teurer. Bernd Belina fordert deshalb eine nachhaltige Wohnungspolitik - und denkt dabei vor allem an Genossenschaften

  • Bernd Belina
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Trend setzt sich fort: Auch im vergangenen Jahr sank die Anzahl der Sozialwohnungen in Deutschland. Nach noch knapp drei Millionen im Jahr 1990 sind es inzwischen nur noch rund 1,2 Millionen. Die Gründe sind bekannt: Privatisierung, kaum Neubau, Auslaufen der Bindung. Die beiden erstgenannten Aspekte werden inzwischen immerhin wieder öffentlich diskutiert - wenn auch zu spät und zu zögerlich.

Die Phase, in der die öffentliche Hand in großem Maßstab Wohnungsbestände verkaufte, scheint jedoch vorüber zu sein. Dass eine Großstadt, wie Dresden es im Jahr 2006 tat, ihren gesamten Bestand abstößt, oder die Privatisierung der 33.000 GBW-Wohnungen in Bayern 2013 seitens der Landesregierung nicht verhindert wird, ist heute nur noch schwer vorstellbar. Und auch gebaut wird wieder - und zwar über 26.000 Sozialwohnungen im vergangenen Jahr.

Bernd Belinda
Bernd Belina, 1972 geboren, ist Professor für Humangeographie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Doch das sind nach allen Schätzungen deutlich zu wenige Sozialwohnungen, insbesondere in den teuren Groß- und Universitätsstädten. Weder Bund und Länder noch die Kommunen unterstützen den Neubau so, wie es ihnen möglich wäre. Noch immer verkaufen sie ihre Liegenschaften häufig an die Meistbietenden. Oft sind es Finanzinvestoren, die dann profitable Büros, Hotels, Konsumtempel oder zunehmend Luxuswohnungen bauen. In vielen Städten schlägt das Interesse der Kämmerer an Haushaltskonsolidierung und hohen Einnahmen noch immer regelmäßig jenes der Befürworter von Konzeptvergaben in Erbbaurecht, bei denen nicht der dickste Scheck, sondern der beste und sozialste Plan für die Nutzung öffentlicher Grundstücke den Ausschlag gibt und der Boden öffentliches Eigentum bleibt. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der die meisten Liegenschaften und Grundstücke des Bundes gehören, ist sogar verpflichtet, diese für das Finanzministerium profitabel zu bewirtschaften bzw. loszuschlagen. Eine solche Bodenpolitik verhindert den Neubau bezahlbaren Wohnraums.

Doch weit grundlegender ist das ganze deutsche Modell des Sozialwohnungsbaus eine Fehlkonstruktion. Dass seit Jahren mehr Sozialwohnungen »aus der Bindung fallen«, als neue hinzukommen, liegt an der nur zeitlich befristeten Verpflichtung, geförderten Wohnraum zu günstigeren Mieten anzubieten. Diese Bindung endet nach 20 oder 25 Jahren, oft schon früher. In dieser Zeit werden die Mieten für die Bewohner gesenkt, indem der Steuerzahler einen Teil übernimmt. Die öffentliche Hand subventioniert die Immobilienwirtschaft. Nach Auslaufen der Bindung wird dann wieder marktförmig Reibach gemacht: durch Mieterhöhungen, oft durch Verdrängung alteingesessener Mieter mittels Modernisierung oder durch Umwandlung in Eigentumswohnungen. Angesichts der angespannten Situation werden inzwischen immerhin längere Bindungen diskutiert, das Modell an sich wird aber kaum in Frage gestellt.

Dabei liegt die Alternative auf der Hand: Anstatt Privaten für kurzfristig niedrigere Mieten Geld in den Rachen zu werfen, sollte die öffentliche Hand mit ihren Wohnungsbaugesellschaften selbst aktiv werden sowie Bauherren und Vermieter unterstützen, die nicht profitorientiert handeln und die Mieten aus eigenem Interesse niedrig halten - vor allem Genossenschaften. Das wäre nachhaltig. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre eine systematische steuerliche Besserstellung gemeinwohlorientierter Wohnungsbauunternehmen, wie sie bis Ende der 1980er Jahre bestand und als Neue Wohnungsgemeinnützigkeit erneut diskutiert wird. Ein anderer besteht in der (Selbst-)Verpflichtung öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften, nur noch dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu bauen und zu verwalten. Dass dafür Druck von unten notwendig ist, zeigt der Mietenvolksentscheid in Berlin ebenso wie der gerade anlaufende Mietenentscheid in Frankfurt am Main.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -