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Paarungsverhalten im Think-Tank

»Verlorene Liebesmühe« der Shakespeare Company im Naturpark Schöneberg

  • Miriam Sachs
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine schönere Kulisse als den Naturpark Schöneberg kann man sich kaum denken für Shakespeare open air. Bereits beim Gang zum Theater der Shakespeare Company mittsommerumnachtet sich das Gemüt. Der Wasserturm überragt und überrostet das Geschehen und vor dem Eingang zum Theater ist ein kleiner Biergarten. Die tatsächliche Theaterkulisse überrascht dann durch pragmatische PVC-Schlichtheit. Eher eine Messe-Plattform in Weiß mit nicht mehr als der viel versprechenden Headline »FAME. - Berühmtheit? Hunger?«.

Um Ersteres geht es im Stück nicht, um Letzteres eigentlich auch nicht, wenn man davon absieht, dass Ferdinand, König von Navarra geschworen hat, drei Jahre lang den Freuden des Lebens zu entsagen. Das heißt: Keine Frauen bei Hofe, keine Völlerei, stattdessen asketische Klausur und Studium. Seine Hofstaats-Kumpel Byron und Dumain sind zwangsweise mit von der Partie. Prompt naht Prinzessin Isabelle von Frankreich mit ihren Damen und will den König mit territorialen Deals über den Tisch ziehen. Alle verlieben sich ins entsprechende Gegenüber, keiner gibt’s zu und ein herrlich spätpubertäres Hin-und-her beginnt. Love’s labour’s lost, wie das Stück im Original heißt, ist eins der schwächeren Shakespeare-Stücke. Geht es da wirklich nur darum, dass alle eigentlich dasselbe wollen beziehungsweise eigentlich durchaus nicht nicht wollen würden?

Wie unnötig blöd sich Verliebte anstellen, wie brillant man um den heißen Brei herum reden kann, zeigt die Shakespeare Company. Die Spielfreude des Ensembles, die starke Neu-Übersetzung von Christian Leonard treiben das Stück zu Höhenflügen an Schlagfertigkeit - und die Musik, der Live-Gesang gar zu hinreißender Alltagspoesie. Shakespeareschem Wortwitz steht in den Chorgesängen von Nico Selbach entwaffnend zarter und einleuchtender Unsinn gegenüber: »Schwip-Dubi-Du...« manchmal getarnt als Rennaissance-Madrigal, manchmal als Understatement-Swing. Männer und Frauen haben nun mal komische Paarungsrituale, sie verhalten sich wie Idioten. Stimmt. Und so unbedeutend die Liebesmüh auch daherkommt, sie brennt nicht nur den Schauspielern unter den Nägeln, der Funke springt auch über aufs Publikum.

Allein das Aufgebot an skurrilen Typen. Allen voran auf der Buffo-Ebene Johanna-Julia Spitzer als berlin-schnauziger Bauerntölpel und Thilo Herrmann als liebeshungrige Jaquenette, Berliner Barbiepuppe mit verwaschen rosa Haar. Das alles trägt bis zur Pause und das trotz des Tageslichts und Bühnenbild, das eher durch Abwesenheit glänzt (eine Abschlussarbeit von Absolventen der Universität der Künste). Aber gerade dann, wenn es dunkler wird, und auch der Bühnenzauber beginnen könnte, scheint vom benachbarten Biergarten mehr Lichterketten-Magie hinüber als von der Bühne herab. Und plötzlich, obwohl Spieltempo und Witz nicht nachlassen, wüsste man dann doch gerne mehr: Zum Beispiel was diesen König in erster Linie dazu gebracht hat, dem Leben zu entsagen. So stark Benjamin Plath dies am Anfang behauptete und obwohl ihm die Rätselhaftigkeit gut zu Gesicht steht, irgendwann will man wissen, was dahintersteckt. Shakespeare selbst lässt da vieles offen, aber böte genug Projektionsfläche: Ist Ferdinand ein unglücklicher Sieger, dem der letzte Krieg noch in den Knochen steckt? Ein gelangweilt-dekadenter Dandy, der im Think-Tank nach neuem Ruhm und Ehre taucht? Ein verlassener, lebensängstlicher Junge, der selbst wenn er sich schließlich gegenüber seinen Kumpanen als bis über beide Ohren in Isabelle verliebt outet, ihr selbst das noch lange nicht sagen kann; jedenfalls nicht angemessen.

Die Regie von Jens Schmidl wirkt da unklar. Zu wörtlich nimmt er den Text, aber irgendwann kann auch die Eloquenz nicht mehr über die Lappalienlastigkeit hinwegtäuschen. Und wo bleibt der Fame? Der Ruhm? Der Hunger? Was treibt die Leute wirklich an?

Die Männer spielen Spielchen, die Frauen durchschauen das (grundsätzlich der weniger dankbare Part), spielen ihrerseits Spielchen und das in einem Theater, in dem die Regie ebenfalls über das Spielchen-Ausdenken nicht hinauskommt. Das sorgt für enormen Spaß. Hängen bleiben dann am Ende nur wenige Momente.

Auch hier berühren vor allem die Bauernpaare und legen bei aller Prolligkeit eine Zartheit und Verletzlichkeit an den Tag, zum Beispiel, wenn Jaquenette, die nicht lesen kann, sich vom Publikum einen Liebesbrief vorlesen lässt, der sich dann doch als gar nicht für sie bestimmt herausstellt, erreichen die Liebesmühen die Dimensionen schlicht und ergreifender Menschlichkeit.

21. bis 25. August, 20 Uhr

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