Wiederannäherungsbesuch

Heiko Maas reist zum ersten Mal als Außenminister in die Türkei

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war an der türkischen Regierung zu verkünden, dass der deutsche Außenminister Heiko Maas am Mittwoch nicht nur seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu, sondern auch den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan höchstselbst treffen werde. Das türkische Außenministerium teilte dies am Dienstag mit, Maas wird am Mittwoch in der türkischen Hauptstadt Ankara erwartet, soll dort zunächst von Çavuşoğlu empfangen werden und anschließend Erdoğan sowie den Parlamentspräsidenten und früheren Regierungschef Binali Yıldırım treffen.

Dessen Amt - das Ministerpräsidentenamt - wurde mit den Wahlen am 24. Juni und der Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei abgeschafft - so wie auch der Rest an Demokratie in dem Land. Nun ist der Staatspräsident, der zuvor repräsentative Aufgaben hatte, Regierungschef und besitzt umfassende Vollmachten, die weit über die anderer Präsidialsysteme wie in Frankreich oder den Vereinigten Staaten hinausgehen.

Maas’ Visite in Ankara, die gleichzeitig auch sein Antrittsbesuch ist, fällt also in eine Zeit, da der massive Rückbau demokratischer Rechte, die faktische Aufhebung der Gewaltenteilung und die Überführung des Ausnahmezustandes in den Status quo gerade abgeschlossen wurde.

Dennoch ist sein Besuch begleitet von der Rede über »Wiederannäherung« oder gar »Normalisierung« der deutschtürkischen Beziehungen. Auf türkischer Seite ist man diesbezüglich betont optimistisch. Vor dem Hintergrund der Lira-Krise und des Streits mit den USA hat man Verbündete bitter nötig. Auch Maas spricht von Normalisierung, nennt aber Bedingungen für die unter anderem aus seiner Partei ins Gespräch gebrachten Finanzhilfen. Gegenüber der »Bild am Sonntag« sagte er: »Es geht aber jetzt nicht um konkrete finanzielle Hilfsmaßnahmen für die türkische Wirtschaft, sondern um eine Normalisierung unserer Beziehungen. Dafür muss die Türkei liefern.« Maas verwies auf die sieben aus politischen Gründen in der Türkei inhaftierten Deutschen. »Menschen müssen seit über einem Jahr Einzelhaft ertragen, ohne dass Anklageschriften vorliegen.« Dies sei unhaltbar und müsse beendet werden.

Eine deutsche Staatsbürgerin, die mehrere Monate in Untersuchungshaft saß und erst kürzlich in die Bundesrepublik zurückkehren konnte, nachdem ihre Ausreisesperre aufgehoben worden war, ist Meşale Tolu. Auf einer Pressekonferenz der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen in Berlin, formulierte sie am Montagnachmittag Erwartungen an die Türkei-Reise von Maas. Sie sei zuversichtlich, dass »die Bundesregierung weiterhin auf die Menschenrechtsverletzungen hinweisen wird«. Auch hoffe sie, dass bei »all diesen Besuchen (...) diese Themen angesprochen werden, dass man das nicht übersieht«, so Tolu. Zu »all den Besuchen«, auf die die 33-Jährige sich bezog, gehört auch der für Ende September geplante Staatsbesuch Erdoğans in Berlin - es ist der erste nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016, dem eine Welle von Repressionen folgte.

Als dieser auch Deutsche zum Opfer fielen - neben Tolu waren die bekanntesten Geiseln Erdoğans der »Welt«-Korrespondent Deniz Yücel sowie der Menschrechtler Peter Steudtner - kündigte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel, ebenfalls SPD, im Sommer 2017 eine Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik an. So recht sind dieser Ankündigung nie Taten gefolgt, wenn man von dem deutschen Veto bei der von der Türkei angestrebten Ausweitung der Zollunion mit der EU absieht. Und nun stehen die Zeichen offenbar ohnehin auf Entspannung.

Bei dem Besuch wird es nach Angaben des türkischen Außenministeriums um die deutsch-türkischen Beziehungen, den EU-Beitrittsprozess und regionale und internationale Fragen gehen. Am Donnerstag soll Mass dann an einer Zeremonie zum Beginn des Schuljahrs an der Deutschen Schule in Istanbul teilnehmen. Auch um diese gab es in den vergangenen Jahren Konflikte - wegen Interventionen der türkischen Regierung dort. Und auch hier sendet eine gemeinsame Zeremonie mit Çavuşoğlu ein deutliches Signal.

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