Reichelts Hitlergruß

Netzwoche: Robert D. Meyer über eine Aufnahme, die leicht als Fälschung zu erkennen war

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Wochenbeginn stellt sich einmal mehr die Frage, welche Qualitäten jemand mitbringen muss, um »Bild«-Chefredakteur zu werden? Grundregeln der journalistischen Recherche sind es offenbar nicht - zumindest gilt das für Julian Reichelt. Der »Bild«-Chef verbreitete am Montag ein Foto, das, wie er schreibt, »auf Twitter kursiert« und den Sänger Monchi der Punkband »Feine Sahne Fischfilet« beim Hitlergruß zeigen soll. Entweder tatsächlich mit der eigenen Recherche überfordert oder dreist genug, um seine Abneigung gegen die Band und das Konzert wirsindmehr in Chemnitz zu kaschieren, fragt Reichelt die Twittergemeinde: »Allerdings weist das Foto am Handansatz zwei auffällige Pixel auf, die auf Montage hindeuten könnten. Handelt es sich um eine Fälschung? Wer kann helfen?« Zum Glück fragte er in dieser Situation nicht bei Robert King, dem früheren »Creative Director of Video« von Bild.de nach. Der Foto- und Videojournalist hatte für das Boulevardmedium 2015 eine Aufnahme analysiert, in der Yanis Varoufakis, damals griechischer Finanzminister, dabei zu sehen sein soll, wie er Deutschland den Stinkefinger zeige. Das Video war eine Satireaktion des Künstlers Jan Böhmermann, King kam aber zu dem Schluss, »dass es unmöglich wäre«, das Video zu fälschen, sofern nicht die ganze Aufnahme aus einem Studio stammte.

So viel Rechercheaufwand hätte Reichelt im Fall von Monchi nicht betreiben müssen. Schon die Quelle, auf die er sich unkritisch beruft, wirft Fragen auf. Verbreitet hat die Aufnahme der frühere Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke. Der fordert in seinem Twitterbeitrag die sächsische Polizei auf, gegen Monchi wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu ermitteln, weil doch »letzte Woche wurde ja auch wegen allem ermittelt«. Gemeint sind die Chemnitzer Neonaziaufmärsche.

»Die Forderung Schmidtkes nach Strafverfolgung zielt darauf ab, die tatsächlichen Straftaten zu relativieren. Nach der Verschiebung der Grenze des Sagbaren soll nun auch die der Symbolik ausgeweitet werden«, warnt Sarah Kohler auf taz.de. Der Vorfall zeige auch, wie problematisch es für einen Journalisten ist, Gerüchte auf Twitter zu teilen. Während andere Nutzer das Foto schnell als Fälschung entlarvten - es zeigt ein clever gewähltes Standbild aus einem Video, das die Musiker ins Netz hochgeladen hatten. Reichelt beherrsche dagegen offenbar nicht einmal die »Zwei Quellen-Regel«, so Kohler. Dem Prinzip zufolge hätte er zwei voneinander unabhängige Quellen zurate ziehen müssen, die den angeblichen Hitlergruß gesehen haben wollen. Reichelt hätte mindestens bei den Musikern nachfragen können.

Der »Bild«-Mann ist ohnehin bei allem, was mit dem Solikonzert zu tun hat, auf Krawall aus. Als die Polizei zu Beginn der Veranstaltung twitterte, das pünktlich zum Start sich die Sonne am Himmel zeige, meckerte Reichelt, die Beamten sollten doch »keine rührseligen Sonnenschein-Tweets absetzen«. Ob Reichelt vorher überprüft hat, ob am Montagabend die Sonne schien?

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