Der »Naturmaler«

Das Tiroler Landesmuseum Innsbruck erkundet neue Aspekte im Schaffen von Lucas Cranach d. Ä.

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Zu den Sammlungen des Tiroler Landesmuseums Innsbruck gehören wesentliche Werke Lucas Cranachs des Älteren, darunter auch der »Hl. Hieronymus in der Einöde« (um 1525), der den Kirchenvater als Büßer nicht in der eigentlich der Legende nach geforderten syrischen Wüste, sondern in einer wilden, uns aber vertraut-heimischen Wald- und Felsenlandschaft zeigt. Diese minutiös ausgeführte Landschaft ist hier der Buße und Wissenschaft vereinigenden Hieronymus-Figur gleichberechtigter ekstatischer Ausdrucksträger und zugleich Schauplatz subtiler Symbolik. Die Tiere und Pflanzen sind zu geheimen Hauptdarstellern erhoben worden, die dem Betrachter etwas mitzuteilen haben.

Ausgehend von Cranachs Hieronymus-Bildern - erst kürzlich ist wieder ein Hieronymus-Gemälde aufgetaucht, das wohl der Werkstatt Cranachs d. Ä. zuzurechnen ist - hat das Innsbrucker Museum in einem interdisziplinären Ausstellungsprojekt systematisch Cranachs Naturdarstellung erforscht und ist dabei zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Für Cranach und seine Zeitgenossen war die allegorische Lesart der Natur noch allgegenwärtig. Die Spannung zwischen Empirie und Symbol, Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit, neuem und tradiertem Wissen wird eben auch im Innsbrucker Hieronymus-Gemälde sichtbar: Zwar zitiert der exotische Löwe mit seinen eigentümlichen »Schläfenlocken« eher das Vorbild Dürers, aber sonst sind die Lebewesen durchaus detailliert und auch nahezu naturgetreu dargestellt.

Zugleich wird jedoch eine symbolische Ebene augenscheinlich. So finden sich Fabelwesen in diesem Naturraum. Die Harpyien, Vögel mit menschlichen Köpfen, versinnbildlichen Sündenfall und Buße. Ihre Spiegelung in der Wasseroberfläche deutet auf Selbsterkenntnis. In den Naturdetails entfaltet sich eine Allegorie, die den Weg des büßenden Hieronymus von der Sünde zur Tugend und durch die Buße ins Himmelreich anzeigt. Auffordernd richten die Wesen im Vordergrund ihre Blicke auf den Betrachter, dem der Weg der Titelfigur nahegelegt wird.

Das früheste Hieronymus-Bild Cranachs stammt aus dem Jahr 1502, als sich Cranach in Wien und in den Gelehrtenzirkeln um Conrad Celtis aufhielt. In diesem humanistischen Umfeld wurde viel über Hieronymus und auch über den »germanischen Wald« diskutiert. Darauf reagierte Cranach, indem er die »Hieronymus-Wüste« in seinem Gemälde als bedrohlichen, wilden Wald erscheinen ließ. Die dramatisch dargestellte Natur spiegelt den verzweifelten Büßvorgang des seelisch aufgewühlten Kirchenvaters wider.

In der linken oberen Bildecke haben sich drei Vögel versammelt und formen ein humanistisches Bilderrätsel. Der Hieronymus-Holzschnitt von 1509 platziert dann die Titelfigur an einen lichten, heiteren Waldrand mit sprudelnder Quelle. Hier kann der Wald nicht nur wie im frühen Wiener Gemälde die bedrohliche Einsamkeit verbildlichen, sondern auch auf das als Lohn für die Buße erwartete Paradies hinweisen. Der Stein in der einen und das Buch in der anderen Hand des Hieronymus weisen auf dessen Buße und Gelehrsamkeit hin, während der V-förmige Zug der Kraniche am Himmel Mahnung ist, sich Gottes Leitbild anzuvertrauen.

Schließlich zeigt »Der hl. Hieronymus in felsiger Landschaft« (um 1515) unseren Protagonisten in der Einsamkeit der Natur als Gelehrten. Doch ist er gleichzeitig Büßer geblieben, der sich der Grenzen seines eigenen Verstandes bewusst ist. Die Natur hat hier eine korrigierende Rolle von Hieronymus als Wissenschaftspatron übernommen. Anstatt sich im »Buch der Bibel« dem undurchdringlichen Geheimnis Gottes zu widmen, sucht dieser im »Buch der Natur« die Geheimnisse der Natur zu erforschen.

Nicht nur den hl. Hieronymus, sondern auch andere religiöse Themen kombinierten Cranach und seine Zeitgenossen mit der Darstellung der Natur. Einerseits lebte die mittelalterliche Sicht auf die Natur und ihr Verständnis als Ausdruck des Übersinnlichen weiter, andererseits machten in diesem »Zeitalter der Entdeckungen« die Naturwissenschaften wichtige Entwicklungsschritte hin zu einem modernen Verständnis.

Die Innsbrucker Ausstellung zeigt naturgeschichtliche Standardwerke wie das um 1350 entstandene »Buch der Natur« des Regensburger Kanonikers Konrad von Megenberg, das auch Cranach noch benutzt hatte. Das »Kräuterbuch« des Mediziners Leonhart Fuchs von 1542 wurde zu einem Gründungswerk der Botanik. Der Universalgelehrte Conrad Gessner schuf mit seiner »Historia animalium« (Geschichte der Tiere, 1551 - 58) ein Schlüsselwerk der frühen modernen Zoologie.

Diese Werke waren reich illustriert und dienten auch den Künstlern als Vorlagebücher. Da zu Cranachs Aufgabengebieten als Hofmaler in Wittenberg auch die Darstellung der kurfürstlichen Jagd gehörte, kam es hier zu weiteren Tier- und Naturdarstellungen, so bei der Bekehrung des römischen Feldherrn Eustachius, des Schutzpatrons der Jäger, zum Christentum, nachdem ihm auf der Jagd ein Hirsch mit dem Kreuz im Geweih erschienen war (»Der hl. Eustachius«, um 1515-1520). Das Gemälde »David in der Wüste Siph« (um 1530), das eine Episode aus dem Alten Testament erzählt, gehört zu den wenigen »Wüstenbildern« im Schaffen Cranachs, deren Landschaftsform an die realen Begebenheiten einer Felswüste erinnert.

Die Ausstellung, die Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen Cranachs wie dessen Zeitgenossen mit naturwissenschaftlichen Exponaten, illuminierten Manuskripten und kostbaren Druckwerken dieser Zeit in einen Zusammenhang setzt, eröffnet neue Deutungshorizonte. Zum einen wirkt bei Cranach die Symbolik des Mittelalters weiter, in der jedes Tier, jede Pflanze eine geheime Bedeutung hatte. Zum anderen offenbart sich ein neuer Realismus, der im Kontext der noch jungen Naturwissenschaften seinen Ort findet.

Cranach war nicht nur der Maler der Reformation, der Bildgeber Luthers, er war auch der »Naturmaler«, der an der Schwelle zur Neuzeit das neue Interesse an Welt und Landschaft bediente, indem er zahlreiche Naturdetails choreografisch zur Darstellung brachte. Ihm lag nicht so sehr an einer klaren, räumlichen Ausdehnung der Natur als vielmehr an einer den Deutungsradius weit ausschreitenden Verbindung von Figur und Landschaft. Dem Verlangen nach Erkenntnis noch unbegriffener Zusammenhänge konnte eine solche Bildauffassung in besonders wirksamer Weise dienen.

Cranach natürlich. Hieronymus in der Wildnis. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, Die - So 9-17 Uhr, bis 7. Oktober. Katalog 30 Euro.

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