Finanzkapitalistische Spielanordnung

Der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister rechnet in seinem neuen Buch mit dem neoliberalen Mainstream ab

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ökonomen seien überdurchschnittlich egoistisch. Das schreibt Stephan Schulmeister mit Verweis auf Studien, die Haltungen und Verhalten von Ökonomen mit jenen anderer Gruppen verglichen haben. Der pensionierte langjährige Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung meint hiermit freilich nicht sich oder andere kritische Ökonomen, sondern neoliberale Wirtschaftswissenschaftler. Für diese sei der Markt zu einem Subjekt geworden, dem sich der Mensch zu unterwerfen habe. Anteilnahme für das Schicksal der Menschen bringe die Mainstream-Ökonomie nicht auf.

Die Folgen der marktgläubigen Politik in Europa sind verheerend: »20 Millionen Menschen sind arbeitslos, 100 Millionen müssen sich mit ›atypischen‹ Jobs zufriedengeben, die Staatsverschuldung steigt seit vierzig Jahren«, fasst der Wiener die Situation zusammen. Verantwortlich dafür ist laut Schulmeister der Einfluss der neoliberalen Ökonomen auf die Politik. Sie hätten dazu beigetragen, dass die »realkapitalistische Spielanordnung« durch die finanzkapitalistische abgelöst wurde. So nennt Schulmeister das, was andernorts als Fordismus und Neoliberalismus bezeichnet wird. Im Realkapitalismus dominieren »die - überwiegend gemeinsamen - Interessen von Realkapital und Arbeit«, während das Finanzkapital »ruhiggestellt« ist. Angesichts von festen Wechselkursen, Rohstoffpreisen sowie Zinssätzen unterhalb der Wachstumsrate entfaltet sich das Profitstreben in der Realwirtschaft. Anders im Finanzkapitalismus: In dieser Spielanordnung lenken schwankende Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktien- und Anleihekurse sowie Zinssätze über der Wachstumsrate das Profitstreben auf die Finanzspekulation.

Schulmeisters Ziel ist klar: Angesichts von kommenden Finanzkrisen, die die EU in ihrer Existenz bedrohen, muss eine Renaissance der »realistischen Ökonomie« her. Also eine Spielanordnung, in der das Treiben auf den Finanzmärkten wieder eingeschränkt wird. In den letzten Kapiteln seines Buches zeigt Schulmeister detailliert auf, wie dies erreicht werden könnte. So soll der Fließhandel auf den Finanzmärkten durch elektronische Auktionen (etwa alle zwei Stunden) ersetzt werden. Das würde die »Finanzalchemie« radikal einschränken, die Kurse stabilisieren und so Aktivitäten in der Realwirtschaft attraktiver machen. Überdies plädiert er unter anderem für die Einführung einer generellen Finanztransaktionssteuer und ein neues Weltwährungssystem.

Umweltschutz sieht Schulmeister als Wachstumsmotor. Die thermische Gebäudesanierung betrachtet er als »Paradebeispiel für die Möglichkeiten eines - zeitlich begrenzten - ›green growth‹«. Trotz der energieintensiven Erzeugung der meisten Dämmstoffe sei die Emissionsbilanz positiv, gleichzeitig werde das Wachstum von Produktion und Beschäftigung erhöht und verstetigt. Leider berücksichtigt Schulmeister an dieser Stelle nicht die möglichen Rebound-Effekte infolge von Effizienzgewinnen. So könnte es sein, dass Hausbesitzer die an Heizkosten eingesparten Gelder nutzen, um etwa häufiger in den Urlaub zu fliegen. Zudem war es bis dato die Regel, dass ein wirtschaftliches Wachstum mit steigenden Umweltbelastungen einherging. Wieso das bei einem »grünen Wachstum« anders sein soll, wird nicht ausreichend begründet.

Kritikwürdig ist überdies Schulmeisters überaus positiver Bezug auf die historische realkapitalistische Spielanordnung. So war die Prosperitätsphase bis Anfang der 1970er Jahre in Europa eine Sonderperiode, die sich nicht einfach wiederholen lässt. Die hohen Wachstumsraten sind auch auf die Zerstörungen infolge des Zweiten Weltkrieges zurückzuführen. Zudem war das Bürgertum durch sein Paktieren mit dem Faschismus geschwächt, die Arbeiterbewegung entsprechend stark. Und: Der Wohlstand in Europa wurde auch auf Kosten des globalen Südens und der Umwelt erreicht. Globale Ausbeutungsverhältnisse werden von Schulmeister aber nicht thematisiert. Womit ein weiterer Kritikpunkt angesprochen wäre: Nicht nur international herrscht im Realkapitalismus Ausbeutung, sondern auch im nationalen Rahmen findet Mehrwertaneignung statt. So verwundert es nicht, dass der Klappentext Schulmeister als Freund des Unternehmertums vorstellt. Seine Kritik verlässt nicht den keynesianischen Rahmen.

Dennoch kann man Schulmeisters Buch mit Gewinn lesen. Seine Kritik der herrschenden Wirtschaftstheorie kommt einer »intellektuellen Kriegserklärung« gleich. Und da sie allgemeinverständlich geschrieben ist, ist sie auch für Nicht-Ökonomen von Nutzen.

Stephan Schulmeister: Der Weg zur Prosperität, ecowin, Salzburg-München, 2018, 475 S., 28 Euro.

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