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Nur nachts droht keine Kälte

Hamburger LINKE möchte Winterquartiere für Obdachlose auch tagsüber öffnen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Nass und kalt ist es im Winter auch nach 9.30 Uhr. Doch ungeachtet dessen müssen Obdachlose in Hamburg, und nicht nur dort, spätestens zu diesem Zeitpunkt die ihnen von der öffentlichen Hand angebotenen Übernachtungsquartiere verlassen haben. Ein Unding, meinen sozial engagierte Menschen in der Elbmetropole, und so fordern sie in einem offenen Brief von der Stadt, die Plätze des »Winternotprogramms« nicht nur des Nachts, sondern auch tagsüber zugänglich zu machen.

Parlamentarische Unterstützung haben die Verfasser des von rund 95 000 Unterzeichnern mitgetragenen Schreibens, darunter Ehrenamtliche der »Hamburger Tafel« und Ärzte der »Praxis ohne Grenzen«, in der Hamburgischen Bürgerschaft von der Fraktion der LINKEN. Sie will nicht nur die ganztägige Öffnung der Winterunterkünfte, sondern auch den Zugang zu ihnen für alle obdachlosen Frauen und Männer, unabhängig von ihrer Herkunft und ohne vorherige Ausweiskontrolle.

Ohne eine solche Identitätsprüfung wird bislang niemand in die Übernachtungsstätten eingelassen. In vergangenen Jahren hatte das zur Folge, dass Obdachlose aus einigen Staaten an der Tür zum Winternotquartier mit der Begründung abgewiesen wurden, in ihren Herkunftsländern gebe es Selbsthilfemöglichkeiten, die sie offensichtlich nicht in Anspruch genommen und damit freiwillig die Obdachlosigkeit gewählt hätten. Viele dieser Menschen mussten daraufhin in Kälte und Nässe bleiben, drohen zu verelenden, gab Cansu Özdemir, Abgeordnete der Linksfraktion jetzt in der Bürgerschaft zu bedenken.

Es war nicht das erste Mal, dass die LINKE dort die ganztägige Bereitstellung der Notquartiere beantragte. Schon in den vergangenen Jahren hatte sie gehofft, das Stadtparlament würde im Sinne jener Menschen entscheiden, die aufgrund ihrer Lebenssituation physisch und psychisch erschöpft seien und deshalb auch tagsüber Wärme und Ruhe benötigten. Doch bislang wurde dieser Wunsch mehrheitlich abgelehnt. Und auch jetzt sieht es nicht gut aus für die Initiative der Fraktion und der vielen Bürgerinnen und Bürger, denen frierende, wohnungslose Frauen und Männer in einer sich oft so sozial darstellenden Stadt nicht gleichgültig sind. In einer Stadt, in der die meisten Einkommensmillionäre Deutschlands zuhause sind.

Zwar wird der Antrag vor einer endgültigen Entscheidung des noch im Sozialausschuss diskutiert, doch weder die SPD/Grünen-Koalition noch die übrigen Parteien dürften ihm zustimmen, wie Abgeordnete aus ihren Reihen bereits durchblicken ließen. Besonders der LINKEN-Wunsch, Obdachlose ohne Überprüfung ihrer Personalien in die Notquartiere einzulassen, scheint Unbehagen auszulösen.

Der Verzicht auf Ausweiskontrolle sei »eine ganz gefährliche Sache«, warnte beispielsweise Wolfhardt Ploog (CDU), wenn man bedenke »was alles schon passiert« sei in solchen Unterkünften. Und Hendrijke Blandow-Schlegel (SPD) regte an, diejenigen, die Einlass begehren, auch mal zu fragen, ob sie arbeiten. Wenn etwa jemand in Arbeitskleidung seinen Schlafplatz in Anspruch nehme, so die Sozialdemokratin sinngemäß, dann sei es nicht auszuschließen, dass diese Person das Winternotprogramm als billige Herberge missbrauche. Für die FDP kündigte Christel Nicolaysen schon jetzt das Nein zum Antrag der Linksfraktion an. Die Quartiere unabhängig von der Herkunft der Wärme suchenden Menschen zu öffnen, das würde ein falsches Signal an Obdachlose in Europa senden, »die Hälfte des Jahres auf Kosten der Steuerzahler in Hamburg zu verbringen«, mutmaßt die Liberale.

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